Unerhörtes zwischen Alter und Neuer Musik

Mit Förderpreisträgerin Sarah Luisa Wurmer die Zither neu entdecken

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von Til Rohgalf

Beim Wort „Zither” sind die Assoziationen für die meisten eindeutig: behäbige Volksmusik aus dem Alpenraum, gelebte Tradition und Gemütlichkeit. Dass ihr unverbrauchter Klang in den letzten Jahren verschiedene Komponist*innen der Neuen Musik neugierig gemacht hat, dürfte dagegen weniger bekannt sein. 

Im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern finden zwei außergewöhnliche Konzerte statt: Die Münchener Zitherspielerin Sarah Luisa Wurmer, Gewinnerin des diesjährigen Fanny Mendelssohn Förderpreises, tritt kommenden Donnerstag beim „Junge Elite”-Konzert in Zarrentin auf. Begleitet wird sie dabei von der Sopranistin Camilla Saba Davies. Auf dem Programm stehen neben einer Suite von Johann Sebastian Bach für Violoncello, die die Musikerin für die Zither umschrieb, vor allem zeitgenössische Stücke, die sich originär dieses Instruments bedienen.

Ein geeigneter Vorgeschmack ist dieses Konzert für die Veröffentlichung von Sarah Luisa Wurmers Debut-Album, die im September geplant ist. Als Teil des Antara Quartetts ist die 23-Jährige zudem im August im Rahmen des Detect Classic Festivals auf Schloss Bröllin zu erleben.

Ohne Frage: Sarah Luisa Wurmers Musik führt die Zither aus den Wänden gemütlicher Berghütten und sentimentaler Folklore. Dabei überwindet die Musikerin Grenzen von Genres, Epochen und Kontinenten. „Es hat mich einfach gepackt“, beschreibt Sarah Luisa Wurmer den Moment, als sie zum ersten Mal eine Zither hörte. Damals noch Schülerin, ließ sie sich von der Klangfaszination leiten – ohne Rücksicht auf Stilkategorien oder akademische Laufbahnen.

Sarah Luisa Wurmer mit der Zither (Foto: @Oliver Mark)

Heute ist sie nicht nur gefragte Solistin, sondern auch eine aufregende künstlerische Stimme in einem Spannungsfeld, das sich zwischen Alter Musik, zeitgenössischen Klängen und transkulturellem Austausch bewegt. 

Barocke Originalnoten gibt es für die Zither nicht. Wurmer arrangiert die Werke für das Instrument um und schafft aus dem Alten Unerhörtes, Neues. Die Zither, so erklärt sie, sei klanglich nah an historischen Instrumenten wie Laute oder Cembalo. Dabei sind Ihre Arrangements keine bloßen Repliken. Sie kommen wie neue Originale daher, die durch ihre eigene Handschrift nuanciert geformt wurden. „Ich mag es, wenn ich mein eigenes Gewürz einbringen kann“, beschreibt sie ihre Praxis, eigene Verzierungen, Farben und Zwischentöne in alte Meisterwerke einzubauen. 

Noch radikaler wird es in der zeitgenössischen Musik, wo Wurmer nicht nur interpretiert. Hier schätzt sie die enge Zusammenarbeit mit Komponist*innen wie Dorothea Hofmann, Eva Kuhn oder Leon Zmelty. „Sie haben alle schon öfter für Zither geschrieben und sich toll in das Thema eingefühlt, jede*r auf eigene Weise. Dorothea Hofmann und Eva Kuhn haben sehr lyrische Stücke […] geschrieben, unter Verwendung von Gedicht und Sprache. Leon Zmelty setzt sich in seinem Werk für Altzither und Nahmikrofonierung mit dem ASMR-Trend auseinander”, berichtet Sarah Luisa Wurmer über den Entstehungsprozess ihres Konzept-Debüts „intimacy”.

Das ASMR-Prinzip (kurz für: Autonomous Sensory Meridian Response; auf Deutsch etwa: autonome sensorische Meridianreaktion) in der Musik zielt darauf ab, durch gezielte Klänge, Rhythmen und Geräusche eine entspannende und stimulierende Wirkung zu erzielen.

Auf „intimacy” stehe kein Stück zufällig. Zwischen den Sätzen von Bachs sechster Cellosuite platziert sie Neukompositionen für Altzither und Yatga – eine mongolische Wölbbrettzither, die für Wurmer von ganz persönlicher Bedeutung ist. Denn ihr Studienaufenthalt in Ulaanbaatar am Mongolian State Conservatory hat nachhaltige Spuren hinterlassen. Was sie dort lernte, war nicht nur Spieltechnik, sondern eine Haltung: der selbstverständliche Umgang mit traditionellen Instrumenten im zeitgenössischen Kontext und ohne museale Vorzeichen. Das präge ihre Kunst bis heute: „Ich schätze es sehr, dass ich in der Mongolei die Yatga erlernen durfte, es ist eine tolle Erweiterung für mein Instrumentarium und für Komponist*innen klanglich spannend, da der Ton nochmal sehr anders, auch lauter ist, als der der europäischen Zither. Man wird unmittelbar in eine andere Klangwelt versetzt.”

Es ist genau dieser Drang, musikalische Horizonte zu erweitern und Brücken zu schlagen, der sich auch in ihren diversen Ensemble-Projekten spiegelt. Beim Antara Quartett spielen Musiker:innen mit Instrumenten aus aller Welt zusammen. Es ist ein Teil des Bridges Kammerorchesters. Das Sanskrit-Wort „antara” bedeutet „dazwischen” und beschreibt den Ansatz der vier Musiker*innen perfekt: „Bei Antara kombinieren wir nun Europäische Barockmusik, Tänze aus den Alpen und Südamerika sowie traditionelle persische Musik, bewegen uns also in klanglichen Zwischenräumen.”

Bei der Auswahl von Stücken und Kooperationen sei ihr eine ausgewogene Geschlechtermischung wichtig. Das Ensemble besteht neben Wurmer an der Zither aus Johanna-Leonore Dahlhoff (Flöte), Alireza Meghrazi (iranische Kamanche; eine sogenannte Stachelgeige) und Maria Carolina Pardo Reyes (Violoncello). Diese Besetzung sei „natürlich sehr ungewöhnlich: ein Blasinstrument, zwei Streicher, ein Zupfinstrument, zwei klassische, zwei traditionelle Instrumente – da gibt es keine Originalliteratur, alle Werke sind von uns selbst arrangiert.”

Für das Programm beim Detect Classic Festival habe Wurmer auch ausnahmsweise zwei Stücke aus der Wiener Tradition und dem Alpenraum eingebracht, für ihre Konzerte ein echtes Unikum: „In dieser Kombination ist es für mich aber sehr spannend. Wir freuen uns auf die Premiere unseres Programms ‘transonance’ beim Detetct Classic Festival.“

Dynamisch wird es auch darüber hinaus für Wurmer bleiben: Ihr Duo mit Trompete stehe in den Startlöchern, ein Erasmussemester im Studiengang „Contemporary Art Practice“ an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst sei geplant. Jenseits des akademischen Rahmens bleibt ihr zentrales Anliegen klar: „Ich hoffe, dass ich mit meinen Projekten die Zither so modern und vielseitig zeigen kann, wie sie sich entwickelt hat.“

Das Konzert im Rahmen der „Jungen Elite” findet am 19. Juni ab 19 Uhr in der Kirche Zarrentin statt.

Auf dem Detect Classic Festival spielt das Antara Quartett am 10. August ab 10:30 Uhr auf Schloss Bröllin (Fahrenwalde). Weitere Informationen auf der Website der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern

Titelfoto: Antara Quartett, @Theresa Rundel

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Til Rohgalf studierte Sonderpädagogik, Philosophie und Geschichte (M.A.), er ist im Schuldienst tätig, musikbegeistert und musikalisch aktiv. Ihn interessieren politische, kulturelle und geistesgeschichtliche Themen.

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