Felix Mendelssohn Bartholdy als musikalischer Leiter des Zweiten Norddeutschen Musikfestes im Juli 1840 in Schwerin (2)

Der Kulturkompass MV wendet sich einer erinnerungswürdigen Story aus der Musikgeschichte Schwerins zu. In drei Folgen wird Dr. Bernd Kasten, Leiter des Stadtarchivs Schwerin, erzählen, wie sich das „Zweite Norddeutsche Musikfest“ im Jahr 1840 zu einem unübertroffenen Musik- und Chorfest in der Schweriner Geschichte entwickelte. Einen großen Anteil an dem triumphalen Erfolg hatte Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Der kulturbegeisterte Großherzog Paul Friedrich hatte den damals berühmtesten Dirigenten und Komponisten aus Leipzig als Leiter des Musikfestes gewinnen können.

In Folge 2 – Das Fest berichtet Dr. Kasten über die drei aussergewöhnlichen und historischen Tage des Musikfestes in der Residenzstadt Schwerin.

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von Bernd Kasten

Am 3. Juli 1840 traf Mendelssohn Bartholdy in Schwerin ein und bezog ein Zimmer im „Friemannschen Gasthof“ in der Schlossstraße 9.  Am 6. Juli trafen die auswärtigen Musiker ein: 43 aus Rostock, 33 aus Lübeck, 31 aus Wismar, 24 aus Güstrow, 23 aus Hamburg, 21 aus Lüneburg, 18 aus Altona, 13 aus Ludwigslust, 11 aus Neustrelitz, 8 aus Kiel, 4 aus Bremen, 4 aus Oldenburg, 3 aus Berlin, 3 aus Malchow, 3 aus Ribnitz, 2 aus Leipzig, 2 aus Parchim, 2 aus Grabow, 2 aus Lübz, 2 aus Laage, 2 aus Neukalen, 1 aus Grevesmühlen, 1 aus Klütz, 1 aus Plau, 1 aus Redefin, 1 aus Rühn, 1 aus Schwaan. Dazu kamen 227 Mitwirkende, die in Schwerin wohnten, also insgesamt 340 Sänger und 150 Orchestermusiker.

Das Freimüthige Abendblatt schrieb: „Ganze Wagenzüge bewegten sich durch die Thore der Residenz… Einzelne Wagen waren mit Laub, Blumen, Fahnen, Emblemen und Inschriften geschmückt. „Halt‘ die Frau Musica in Ehren!“ lautet in goldenen Lettern auf himmelblauem Grunde der Spruch eines dieser Festschilde. …Die Tonkunst ist eine Trösterin der Menschheit, sie zaubert einen Frühling, der nicht abblüht, ein Glück ohne Wolken, eine Jugend ohne Endlichkeit“. Die 260 auswärtigen Gäste wurden in der Regel in Privatquartieren untergebracht, wo sie auch das Frühstück erhielten. Die allgemeine Gastfreundschaft war groß. Die Zeitung berichtete: „Viele schmeichelhafte Äußerungen wurden von Fremden hinsichtlich der Aufnahme in den Privathäusern gemacht“. Mittag und Abendessen gab es im Konzertsaal des Theaters. Darüber hinaus hatten alle Mitwirkenden freien Eintritt im alten Schloss mit seiner Gemäldegalerie, der Altertümersammlung und dem Naturalienkabinett. 

Auszug aus dem Programm des zweiten norddeutschen Musikfestes in Schwerin, Stadtarchiv Schwerin

Der Andrang des Publikums war groß. Obwohl der Eintritt für jedes der drei Konzerte 1 Rtl. (heute 40 €, für alle drei Tage also 120 €) betrug, wurden für die beiden Oratorien im Dom insgesamt 4000 und für das Konzert Theater 900 Karten verkauft. Aber offenbar war es diesen Einsatz wert. Ludwig Flügge, damals Jurastudent in Berlin, später Kabinettsrat des Großherzogs, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „Das waren drei Tage des kostbarsten Hochgenusses und wohl werth, die beschwerliche Reise von Berlin nach Schwerin, damals noch mit der Post, zu machen“. Schon das erste Konzert in der Domkirche, der von Mendelssohn komponierte und dirigierte „Paulus“, machte einen gewaltigen Eindruck. Das Freimüthige Abendblatt lobte die Leistung der Solisten in warmen Worten und legte dann noch eine Schippe drauf: „Wie einst auf den Olympischen Spielen nur der Sieger von Salamis Aller Blicke fesselte, so war diesmal Mendelssohn-Bartholdy der Gegenstand allgemeiner Bewunderung und Liebe; denn Keiner, auch nicht Einer, kann gegen ihn in die Schranken treten. Die Todten müßten auferstehen.“ Bei der Abendtafel im Konzertsaal des Theaters für Mendelssohn Bartholdy „unter lautem Jubelruf mit einem Lorbeerkranz bekränzt“.

Huldigungsgedicht an Felix Mendelssohn Bartholdy, Stadtarchiv Schwerin

Für den von allen Seiten hart bedrängten Künstler waren das sehr anstrengende Tage, so dass er am zweiten Tag zwischen Proben und Aufführung ganz auf das Mittagessen verzichtete. Auch an diesem Tag war der Andrang groß. Das Theater, das eigentlich nur 600 Plätze hatte, war mit über 900 Personen völlig überfüllt, so dass die Luft zum Atmen knapp wurde. Nach mehreren Stücken trat Mendelssohn, der bis dahin „bescheiden die Bratsche“ im Orchester gespielt hatte, an den Flügel und spielte ein von ihm komponiertes Klavierkonzert. Danach „nach der atemlosesten Stille, dieser begeisterte rauschende Beifall, der dem großen Componisten und Künstler die Gefühle der Bewunderung und Verehrung seiner entzückten Zuhörer huldigend darbrachte“. Was die an diesem Musikfest auftretenden Solisten angeht, so fällt auf, dass obwohl alle hoch gelobt wurden, die Stimme der Sopranistin Sophie Löwe aus Berlin einhellig als wirklich überragend gepriesen wurde.

Der dritte Tag brachte dann mit der Aufführung der „Schöpfung“ von Haydn im Dom einen echten Klassiker. Auch hier war das künstlerische Niveau überaus hoch, was nicht zuletzt dem Dirigenten zugeschrieben wurde, „aus dessen genialer Leitung leuchtete das stille Feuer seiner harmonischen Seele, wohltätig für das Ganze, unverkennbar hervor“. Selbst ein im Alltag so nüchterner Jurist wie Lehnrat Kuetemeyer bekannte: „Im Paulus und in der Schöpfung habe ich mich der Thränen nicht enthalten können“. Im Freimüthigen Abendblatt erschien am 10. Juli das beigefügte Huldigungsgedicht. 

Getrübt wurden diese Festtage allenfalls durch das regnerische Wetter, weswegen auch das eigentlich geplante Feuerwerk auf dem Alten Garten ausfallen musste. Missmutig zitierte die Zeitung hier einen Ausspruch Voltaires, der gesagt hatte: „In Deutschland sei es neun Monate Winter und drei Monate kalt“. Immerhin klarte es am dritten Tage auf, so dass wenigstens die abendliche Beleuchtung des Schlossgartens wie geplant stattfinden konnte, den die fünf Schweriner Gesangvereine bis in die Morgenstunden mit Musik erfüllten.

Titelfoto: Die Altstadt von Schwerin, 1842, Stadtarchiv Schwerin

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Bernd Kasten, Dr., Jg. 1964, Studium von Geschichte und Englisch, seit 1993 Leiter des Stadtarchivs Schwerin. Privatdozent an der Universität Rostock und Autor zahlreicher Monografien und Aufsätze zur mecklenburgischen Landesgeschichte. 

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