Neulich bei uns im Garten 

von Gerald Ullrich

Wir haben einen kleinen Stadtgarten, kaum 100 qm groß. Eine ziemlich mächtige Linde beschattet ihn den größten Teil des Jahres. Selbst an Sonnentagen zieht die Sonne allenfalls zwei Stunden durch unsere grüne Insel. Ein „Schattengarten“ eben, auf den wir uns von Anbeginn (also vor fast zwanzig Jahren) auch bezüglich der Bepflanzung eingestellt haben. Wir haben den Fokus auf einheimische und insektenfreundliche Pflanzen gelegt. Sie sollten ausreichend Versteckmöglichkeiten für Singvögel bilden. Das hat auch super geklappt!

Für konventionelle Geschmäcker ist das ein wenig attraktiver Garten. Außer einem kleinen, vielleicht 15 qm großen Sitzplatz in der Gartenmitte gibt es eigentlich nur unterschiedlich hohe Stauden und an den Rändern Gehölze. Wir aber sind hoch zufrieden, zumal ein Schattengarten perspektivisch (Klimawandel!) sogar im Trend liegen dürfte. 

Für mich ist der „eigene“ Garten ein Lebensraum, den man mit anderen Lebewesen teilt. Mir ist es immer wichtig, dass es für andere Bewohner unterschiedlich geartete Nischen gibt, sofern sie denn auftauchen und sich in unserem in der Schelfstadt gelegenen Garten einnisten. Ein solches Versteck ist zum Beispiel ein großer Steinhaufen, der einen unsichtbaren Tiefgang hat. Dieser ragt etwa einen halben Meter in die Tiefe, wodurch er einem Haufen Schnecken und anderem Getier in strengen Wintern die Möglichkeit des Überlebens bietet.

In den ersten Jahren sammelten wir die damals noch sehr zahlreichen spanischen Wegschnecken ab; verbannten sie aus ihrem Paradies. Neben diversen kleineren und größeren Gehäuseschnecken gab es nur die „lästigen“ kleinen, braunen Nacktschnecken. Sie sind Gartenbesitzer wegen ihres dauernden Appetits auf Salatblätter und andere Leckereien stets ein Dorn im Auge (während ich mich über sie freue, weil ich sie gut verfüttern kann, aber das wäre ein anderes Thema).

Natürlich hat jemand wie wir auch eine Komposttonne, in der Gartenabfälle und vor allem biologischer Hausmüll in wertvolle Erde umgewandelt werden. Diese Erde landet wieder in den Beeten und lässt das Herz des ökologischen Minikreisläufe bewundernden Gartenbesitzers höher schlagen. Unter dem Deckel dieser Biotonne haben wir vor Jahren einmal einen Tigerschnegel entdeckt. Eine ausgesprochen große Nacktschnecke mit einer beeindruckenden Zeichnung, die es leicht möglich macht, sie im Internet zu identifizieren. Sie gilt in Gartenkreisen eher als „Nützling“, und so freute ich mich stets, wenn ich ab und an einmal einen bei uns zu Besuch (oder – sehr selten – gar ein ganzes Gelege von diesen Schnecken) fand. 

Immer wieder mal zog unter dem Kompostdeckel, aber auch eine andere Art von Nacktschnecke, ihre Bahnen. Nicht so groß wie der Tigerschnegel und auch nicht so beeindruckend anzuschauen. Zwar hatte ich mich mehrfach bemüht, zu klären, was für eine Art diese grünlich-gelbe Nacktschnecke von etwa 5-8 cm Größe wohl sei und wie deren „Nützlichkeit“ zu beurteilen wäre. Aber es gelang mir nicht. Meine Frau schlug mir vor, als sie von meinem Rätsel erfuhr, ich solle die Schnecke doch einfach fotografieren und bei Google auf Bildersuche gehen. Sekunden später kam die Auflösung – und mit ihr eine faustdicke Überraschung! Ich erfuhr, dass es sich um eine in Deutschland vom Aussterben bedrohte und auf der Roten Liste geführte Art handelt! Die solle man (dem NABU) „melden“, falls man sie mal zu Gesicht bekomme. In Niedersachsen habe man sie zum Beispiel 2005 nach 90 Jahren der Abwesenheit überraschend wiederentdeckt. Kriecht ein Rote-Liste-Tier einfach so in unserem kleinen Stadtgarten herum! 

Über diese Bierschnegel genannte Schnecke konnte ich dann über den NABU, WIKIPEDIA und die „Schnegel-Seite“ eines österreichischen Privatmannes weiter erfahren, dass sie früher weit verbreitet war (und als „Schädling“ eingestuft wurde), nämlich als man noch an zahllosen Plätzen und mit Holzfässern Bier braute. In den kühlen Kellern hätte sie sich zumeist vor Trockenheit und Wärme versteckt und sich ansonsten von Resten aus dem Brauprozess ernährt.

Weshalb die regelmäßig bei uns auftauchenden Bierschnegel in der Schelfstadt (und bestimmt nicht nur bei uns) vorhanden sind, wäre sicher eine interessante stadtökologische Frage. Aber die überlasse ich dann doch lieber den richtigen Schneckenliebhabern. Gibt ja auch noch so viele andere Fragen, die einen Menschen heutzutage beschäftigen können und müssen. 

Und „die Moral von der Geschichte“? Die ist mindestens eine Zweifache. Erstens: Auch ein kleiner Flecken Garten kann bei entsprechend rücksichtsvoller Gestaltung einen wichtigen Beitrag zur Stadtnatur leisten. Man braucht ihn „nur“ an dem Gesichtspunkt des gemeinsam geteilten Lebensraums auszurichten, anstelle ihn als externes Wohnzimmer aufzufassen und zu behandeln. Zweitens: Vielleicht hält man beim nächsten Feldzug gegen „Schädlinge“ mal inne und zieht in Erwägung, dass man womöglich gerade dabei ist, die Axt anzulegen an eigentlich Wertvollem, das andernorts gar auf einer Roten Liste steht.

.

Fotos: Gerald Ullrich
Gerald Ullrich, Jahrgang 1959, seit 2005 mit seiner Frau in Schwerin lebend, eher natur- als kulturbegeistert, aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, ist sein Interesse zumeist groß. Als Psychotherapeut gilt seine berufliche Aufmerksamkeit allerdings dem Einzelnen. Er betreibt mit seiner Frau auch einen eigenen Blog.

Sie möchten uns zu dem Beitrag ihre Meinung sagen? Haben Vorschläge, Ideen oder Kritik? Hier ist dafür die richtige Adresse: info@kulturkompass-mv.de

Verwandte Beiträge