Wünsch Dir was

Die fotografischen Zeitdokumente des Olaf Scherer

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von Manfred Scharnberg

„Stellt Euch mal dort hin – noch etwas näher bitte …“, so ähnlich wird Olaf Scherer viele seiner Bildmotive eingeleitet haben. Denn sehr augenfällig sind fast alle Fotos dieser Fotoausstellung arrangiert. Unter dem Titel „Schwerin – Schwarz-Weiß“ sind Scherers Bilder im Kulturforum Schleswig-Holstein-Haus zu sehen – präsentiert in den Räumen und von der Stiftung Mecklenburg. 

Der Fotograf war zwischen 1976 und 1981 bei der „Schweriner Volkszeitung“ (SVZ) angestellt und dokumentierte das öffentliche Leben in Schwerin. Gezeigt werden seine Pressefotografien aus der Zeit zwischen 1971 und 1980, hauptsächlich aus den Jahren 1978, 1979 und 1980. 

In seiner Arbeit hat er das Gestalten von Fotosituationen zur Perfektion entwickelt. Seine Fotos haben ihre Ordnung, nichts stört die Bildharmonie. Alle Abgebildeten stehen an der „richtigen“ Stelle, ermöglichen dem Betrachter den Blick auf das Wesentliche. Im Fotografenalltag sind solche Konstellationen eher selten. Irgendjemand steht immer im Bild, die Abgebildeten verdecken sich gegenseitig, man sieht nicht, was die Hauptperson in den Händen hält. Das ist der Normalfall. Da hilft nur abwarten, bis die Situation perfekt ist, oder die Methode Scherer.

Für ein Foto vom Solidaritätsnachmittag in der Friedensschule hat der damalige SVZ-Fotograf zwölf Kinder um einen Tisch arrangiert. Die Gruppe ist harmonisch gruppiert. Der Blick wird in die Bildmitte gelenkt, in der ein Spendenglas und eine Geldkassette signalisieren, dass es um Geldsammeln geht. Eine Tafel im Hintergrund erklärt den Anlass: eine Sekundär-Rohstoff-Sammlung. Alles ist in einer Weise gestaltet, die mich an die Gruppengemälde von Caravaggio erinnert, der zur Barockzeit eng ineinander verwobene Menschenszenen malte.

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Handynotizen aus der Ausstellung „Schwerin – Schwarz-Weiß“, @ Manfred Scharnberg

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Sehr unrealistisch wird dann aber die Bildkomposition eines „Pioniergeburtstags“, der üblicherweise am Gründonnerstag in den Schulen stattfand.  Sauber aufgereihte, adrette und glückliche Pioniere beim Anschneiden einer großen Geburtstagstorte. So üppig war es in den meisten Schulen wohl nicht.  Aber um Realitätsnähe ging es den Auftraggebern der Fotos – der damaligen SVZ – überhaupt nicht. Die Tageszeitung hatte die Aufgabe, das sozialistische Gesellschaftsbild darzustellen – so wie man es gern hätte, ohne Bezug zur Realität. Eindeutig linientreu und ohne Widersprüchlichkeiten. Das war die Aufgabe, die die angestellten Fotografen stets zu erfüllen hatten. Wünsch Dir was und sozialistische Planerfüllung.

Dazu Olaf Scherer: „Es ist kaum vorstellbar, welch riesengroßer Irrsinn durch uns fotografiert werden musste.“ Der Fotograf kann dabei auch auf eine Vielzahl von Aufnahmen zurückblicken, die nicht durch die Zensur kamen. Die Vielzahl der ausgestellten Fotos zeigt Menschenanordnungen, wie die Verleihung von „Vaterländischen Verdienstorden“, die Eröffnung einer Kaufhalle in Krebsförden und die Arbeitsberatung der Jugendbrigade. Auch dies war Staatsdoktrin: Die Gruppe zählt und nicht der einzelne Mensch. Individualität sollte nicht aufkommen. Auch darin hatte sich die Parteiführung geirrt.

Aber warum zeigt man solche alten Fotos heute überhaupt noch? Tatsächlich lohnt sich das genaue Hinschauen für Besucher – vor allem für junge Menschen, denn in der Ausstellung zeigt sich eine vergangene Scheinwelt, eine Welt, die sich selbst in den Ruin gelogen hat. Es ist die feindliche Übernahme einer Bildsprache, einer Bilderwelt, die hoffentlich nicht wiederkommt. Die ältere Generation wird sich beim Betrachten wahrscheinlich an die Momente der Gemeinsamkeiten hinter der Fassade der Rituale erinnern.

Trotz der inhaltlichen Widersprüche haben die Fotos von Olaf Scherer eine hohe handwerkliche Qualität. Er weiß, wie man mit einem einzigen Foto eine kleine Geschichte erzählt, denn der 1953 in Perleberg geborene Scherer erhielt an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig eine Ausbildung zum Reportagefotografen. 1988 reiste er aus der DDR aus, kam zurück und lebt seit 2023 als Ruheständler in Schwerin. „So ist es gewesen“, wird er über diese Ausstellung wahrscheinlich nicht sagen. „So hat es aussehen sollen“, trifft es sicherlich besser. 

Titelfoto: Marktstand 1978, © Olaf Scherer, Stiftung Mecklenburg

Die Ausstellung im Kulturforum Schleswig-Holstein-Haus ist noch bis zum 31. August 2025 geöffnet

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Manfred Scharnberg, arbeitet als Fotojournalist,ist diplomierter Designer und aktives Mitglied der Schweriner Fotografengruppe AUSLÖSER. Er war für renommierte Zeitschriften/Special-Interest Magazine (Chefredakteur) tätig und kuratiert Fotoausstellungen, zum Beispiel für das Kulturhaus Mestlin. 
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