Streichquartette von Joseph Haydn – mit dem Quatuor Arod ein Mirakel der Kammermusik

.

von Reinhard Wulfhorst 

Als das Quatuor Arod im Juli 2021 sein Debüt beim Konzertverein Schwerin gab, begeisterten die jungen Franzosen besonders mit Joseph Haydn: mit einer unglaublich fantasievollen Interpretation der Nummer 1 aus dem Opus 76. Im Künstlerbuch des Konzertvereins bedankten sich dann Jordan Victoria, Alexandre Vu, Tanguy Parisot und Jérémy Garbarg auf Französisch, Englisch („We had an amazing time in Schwerin“) und in einem charmanten Deutsch („Vielen Dank für dieses hertzlicher Empfang“). Die Vier haben seitdem ihren Haydn noch weiter vertieft und legen nun alle sechs Quartette des Opus 76 als CD vor. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Die Aufnahmen sind ein Mirakel an Quartettkunst geworden. 

Quatuor-Arod (Foto: © Le Philtre Marc de Pierrefe)

Das Markenzeichen: Humor, angereichert mit einer Prise Übermut

Als Joseph Haydn 1799 sein Opus 76 veröffentlichte, schrieb ihm der Musikhistoriker und musikalische Weltreisende Charles Burney zu den Kompositionen: „sie sind voller Erfindung, Feuer, gutem Geschmack und neuen Effekten“. Dies aus den Partituren herauszukitzeln, hat sich das Quatuor Arod offenbar vorgenommen. Zwei Charakteristika der Interpretation möchte man noch hinzufügen: Eleganz und allem voran: Humor, angereichert mit einer Prise Übermut. Dafür stehen dem Quartett instrumentale Möglichkeiten zur Verfügung, die keine Grenzen zu kennen scheinen. Die Vier stellen aber ihre Virtuosität nicht aus, sondern nutzen sie, um die Musik zu gestalten: winzige Temporückungen auf kleinstem Raum, die die Struktur verdeutlichen, ein Klangspektrum vom raunenden Pianissimo bis zum prallen Fortissimo, vor allem in den langsamen Sätzen wunderbar gemischte Klänge, gerade so, als ob ein Instrument mit sechzehn Saiten spiele, und rasende Tempi, wenn Haydn das vorschreibt oder zumindest zulässt. 

Ausgeprägter Gestaltungswille und ansteckende Spiellaune

Es ist der ausgeprägte Gestaltungswille, der diese Aufnahme auszeichnet. Jede Note bekommt ihre Bedeutung, ohne dass irgendetwas tüftlerisch oder verkopft wirkt. Ganz im Gegenteil: Der überbordende Ideenreichtum dieser Interpretation wird mit einer lustvollen Spontaneität und einer ansteckenden Spiellaune präsentiert, die Vergnügen macht und bestens unterhält. Mit vibratoarmem Spiel und Bögen aus der Haydn-Zeit ist das Quartett auf der Höhe heutiger Aufführungspraxis. Das Ganze wird vom Tonmeister durch ein luftiges Klangbild unterstützt.

Die Menuette: wahre Kabinettstückchen

Besonders viel Spaß machen die sonst fast immer unterschätzten Menuette. Von vielen Quartettformationen als willkommene Verschnaufpause zwischen langsamem Satz und Finale genutzt, machen die Arods sie zu wahren Kabinettstückchen. Beim ersten Hören fallen vor allem die ständigen Tempoveränderungen auf, die klingen, als habe da jemand ein Glas Wein zu viel getrunken. Damit treiben die Arods den Menuetten die letzten Reste eines höfischen Tanzes aus und verpflanzen sie eher auf den Tanzboden eines Wiener Wirtshauses. Ein schönes Beispiel dafür ist das Menuett des Kaiserquartetts. Auch sonst wirkt gerade dieser Schlager mit den Variationen über die Kaiserhymne wie neu erfunden. Man nehme nur einmal die den Kopfsatz prägenden punktierten Sechzehntel-Passagen: Während andere sehr namhafte erste Geiger das als eine bloße rhythmische Figur verstehen, macht Jordan Victoria mit kleinsten Veränderungen der rechten Bogenhand eine musikalische Erzählung daraus – mal jazzig, mal rustikal. 

In der absoluten Spitzengruppe der Streichquartettformationen angelangt

Wie überragend diese Aufnahme ist, wird endgültig deutlich, wenn man Interpretationen vergleichend hört, die bislang als maßstabsetzend galten. Das Alban Berg Quartett etwa, das lange Zeit als das Nonplusultra für die Quartettmusik der Wiener Klassik gefeiert wurde, wirkt mit seinem pastosen Interpretationsansatz im Vergleich zu den Arods geradezu altväterlich-bieder. Damit spielt sich das Quatuor Arod in die absolute Spitzengruppe der Streichquartettformationen. Ich würde es sogar an die Seite des Quatuor Ébène und des Belcea-Quartetts stellen. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk ist diese Aufnahme also – auch und gerade für solche, die die Begeisterung für Joseph Haydns Quartette bislang nicht teilen konnten. Aber Vorsicht: genug Zeit mitbringen, denn die Bewegung zum Ausschaltknopf fällt auch nach zwei Stunden beim 6. Quartett ziemlich schwer.

Auf ein Wiedersehen?

Der Konzertverein Schwerin und sein Programmmacher Karsten Flatt können stolz sein, das Quatuor Arod in einer so frühen Phase seiner Weltkarriere nach Schwerin geholt zu haben. Die neuen Haydn-Aufnahmen machen Lust auf mehr. Wann dürfen wir die Vier wieder in Schwerin erleben? 

Joseph Haydn, Streichquartette op. 76 Nr. 1 bis 6; Quatuor Arod; Erato 2025

Titel: CD Cover

 

Reinhard Wulfhorst, Dr. beschäftigt sich neben seiner Tätigkeit in der Landesregierung mit Musik aus M-V und als Inhaber des Musikverlages Edition Massonneau (www.edition-massonneau.de) mit Veröffentlichungen über Komponistinnen und Komponisten aus dem Land. Er stellt musikalische Neuerscheinungen vor und berichtet gelegentlich über Konzerte.

Sie möchten auf eine Veranstaltung aufmerksam machen?
Nutzen Sie unseren Event-Kalender: https://www.kulturkompass-mv.de/veranstalter/
Sie möchten ihre Meinung sagen? Mail an: info@kulturkompass-mv.de

Verwandte Beiträge