Sommer für die Sinne, Porträts für das Portemonnaie: der Maler Anders Zorn kannte keine Grenzen

Die Hamburger Kunsthalle widmet dem schwedischen Künstler erstmals eine große Überblickschau

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Von Susanne Scherrer

Der Titel der Ausstellung  „Anders Zorn – Schwedens Superstar“ klingt anfangs reißerisch, könnte aber auch leicht überheblich wirken: Ein Star in Schweden zu sein ist ja schön, aber muss man den Künstler deshalb im Rest der Welt kennen?

Ja, das sollte man! Anders Zorn (1860-1920) zutreffender als „internationalen Superstar aus Schweden“ zu betiteln, wird jedem Kunstliebenden leichtfallen, der die Schau schon gesehen hat oder vor dem 25. Januar 2026 noch in die Hamburger Kunsthalle eilt. Die Ausstellung präsentiert etwa 150  Werke eines vielseitigen, sinnenfreudigen Virtuosen, der sein künstlerisches Talent und seine malerischen Fähigkeiten konsequent weiterentwickelte und keiner der zu seiner Zeit gängigen Kunstströmungen zuzuordnen ist. Genauso entschlossen verfolgte er seine Karrierepläne. Er bereiste mehrere Kontinente, sammelte dort Inspirationen für neue Werke und bespielte nebenbei gekonnt das gesellschaftliche Parkett der Mächtigen und Reichen, seiner zahlungskräftigen Auftraggeber. Gleichzeitig blieb er seiner Heimat Mora im schwedischen Darlarna treu verhaftet. Immer an seiner Seite: seine gleichaltrige Ehefrau und kluge Managerin Emma Lamm (1860-1942).

Karriereplanung mit Mut zum Risiko

Niemand hätte dieses Leben vorhersagen können. Anders Zorn wurde als außerehelicher Sohn einer Brauerei-Arbeiterin 1860 bei Mora geboren, 300 Kilometer nördlich von Stockholm. Seinen Vater, einen deutschen Braumeister, lernte er nie kennen, behielt aber dessen Nachnamen bei. Glücklicherweise erkannten und förderten seine Lehrer früh sein Talent. Mithilfe eines kleinen Erbes schaffte er es auf die Stockholmer königliche Kunstakademie – und schon sein erstes Porträt erregte das Interesse des damaligen schwedischen Königs – ein unfassbarer Erfolg für einen gerade Achtzehnjährigen. Das bescherte ihm weitere Aufträge aus den wohlhabenden, bürgerlichen Kreisen Stockholms. Aber Anders Zorn plante größer: Er wollte die Welt kennenlernen und ein Einkommen sichern, das ihm eine ebenbürtige Stellung mit der Familie seiner geliebten Emma Lamm und damit die Heirat erlauben würde.

Von Mora nach Marokko, über London nach Chicago

Das gelang ihm. 1881 verließ er Schweden und reiste über England nach Spanien, Marokko, Algerien, Italien und Frankreich zurück nach London. Offenbar versprach er sich dort die größten Erfolgschancen – er mietete auf Pump ein Atelier, ließ sich einen Maßanzug schneidern – und schon zwei Jahre später konnte er seine Arbeiten an der Royal Academy ausstellen. 1885 heirateten Emma Lamm und Anders Zorn. Und zogen zusammen nach London und Amerika, jahrelang, aber nur, um möglichst jeden Sommer wieder nach Mora an den Siljan-See zurückzukehren.

Anders Zorn begann als Aquarellmaler. Man betrachtet seine Arbeiten, den sich ständig verfeinernden, trockener werdenden Pinselstrich, der sich kaum noch von der Ölmalerei unterscheiden lässt. Wasseroberflächen ebenso wie Haut, Gesichter gelingen ihm in akribischer Farbnuancierung, wirken trotz genauer Schattierungen so transparent und doch konturiert, als blickte man auf ein Foto, erst mit halb geschlossenen Augen, Lichtreflexe und Transparenz wahrnehmend, dann, die Augen öffnend: die Szene, die Figuren wirken präsent und fast real.

Warum wandte sich Anders Zorn trotz dieser Perfektion ab 1885 der Ölmalerei zu? Betrachtete er sie, wie vorherrschend am Ende des 19. Jahrhunderts, als wertvollere, schwierigere Disziplin? Oder einfach als besser verkäuflich? Letzteres ist anzunehmen. Ein Pinselstrich, in Wasserfarbe ausgeführt, lässt sich nicht mehr korrigieren. Einen Pinselstrich in Öl kann man bei Nichtgefallen vielfach übermalen. Ölglänzend wollten sich viele der Auftraggebenden sehen – vor allem: glänzend. Gekonnt setzte der Künstler die Ladies der amerikanischen Oberschicht in Szene, in tief ausgeschnittenen, seidig wallenden Abendkleidern. Die Herren dazu, Präsidenten, Industriemagnaten, sitzen im dunklen Anzug, Weste und weißen Hemd mit Stehkragen und Halsbinde vor ebenso dunkel getäfeltem Hintergrund in ausladenden, mit Schnitzereien verzierten Office-Chairs. In der Hand halten sie eine Zigarette, ein Buch oder stützen den Ellbogen lässig auf die Tischplatte.

Schwedische Sommer am Siljan-See

Ganz anders blickt Anders Zorn auf seine schwedische Heimat. Genre-Szenen hält er fest: ein junges Mädchen auf dem Heuboden, Menschen bei der Feldarbeit, Musizieren und Singen in den Familien, das berühmte Mittsommerfest. Dem Eindruck von Kitsch und Klischee wirkt er entgegen. Eine junge Frau betrachtet ratlos ihren Mann, der betrunken bäuchlings auf der Wiese liegen geblieben ist, während im Hintergrund eine alte Frau ihre Kuh wieder nach Hause führt, vielleicht hat sie sie nicht verkauft, aber der Tanz in Trachtenkleidung und die Feststimmung bleiben davon unberührt.

Nicht nur Porträts brachten Anders Zorn Bewunderung und Geld, auch seine nackten Frauen und Mädchen, in die sommerliche Seenlandschaft positioniert, erregten große Aufmerksamkeit. Als ob er hinter einem Busch stünde, so beobachtet er sie beim Entkleiden und Einstieg ins Wasser, in spontaner Bewegung, wie sie die abschüssigen Klippen hinunterklettern, gerade mit den Füßen eintauchen, die helle rosige Haut perfekt betonend durch Schatten- und Lichtreflexe, transparent wirkt die von der Abendsonne gestreichelte Wasseroberfläche. Oder er zeigt junge Frauen beim Bad im Haus, in einem Waschzuber stehend, oder beim Ankleiden für den sonntäglichen Kirchgang. Man denkt an Renoir. Anders Zorns Frauen sind keine Magermodels, er betont die weiblichen Formen, seine Mädchen haben runde, feste Brüste, eine schmale Taille, ausgeprägte Hüften, und gern malt er ihr rotblondes Schamhaar.   

Anders Zorn und die Frauen! Wer so auf Frauen blickt, will mehr. Dieses Kapitel spart die Ausstellung diskret aus, ebenso wie die verfügbare Lektüre. Emma Zorn musste zahllose Affären ihres sinnenfreudigen Mannes ertragen. Sie, die sich nach seinem Tod zielstrebig für seinen Nachruhm einsetzte, soll einen Teil seiner Aktzeichnungen vernichtet oder unter Verschluss gehalten haben.

Noch nicht erwähnt ist der Raum, in dem eine große Anzahl meisterhafter Radierungen ausgestellt ist, die einen expressionistischen Ausdruck vermitteln. Auch diese Technik perfektionierte Anders Zorn, inspiriert von seinem großen Vorbild Rembrandt van Rijn.

Wer diese Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle verpasst, könnte sich den zur Ausstellung erschienenen Katalog gönnen oder gleich einen Sommertrip ins schwedische Mora planen. Anders und Emma Zorn betätigten sich in späten Jahren in ihrer Heimat als Kunstsammler und bedeutende Mäzene. In Mora steht die Villa des Künstlerehepaars, die Sammlung schwedischer Holzhäuser, und das von Emma Zorn gegründete Zornmuseet, das die größte Sammlung seiner Werke besitzt.

Titelfoto: Anders Zorn, Mitternacht. 1891, Öl auf Leinwand, Zornmuseet, Mora, Hamburger Kunsthalle. Foto 2,5,6,8,9,10: Hamburger Kunsthalle, Foto 1,3,4,7: Susanne Scherrer.

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Susanne Scherrer, studierte Dipl.Pol., forscht zur Familie Mendelssohn, übersetzt aus dem Ungarischen, vermittelt und unterstützt Literatur, Konzert- und Kunstevents. Lebt in Schwerin.

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