Nachwuchspreisträgerin der hmt Rostock gibt „Zugabe 3’33″
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von Til Rohgalf
Jeong-Ah Lee, Siegerin des Rostocker Kompositionswettbewerbs „Zugabe 3’33”, sieht der Uraufführung ihres Stückes entgegen. Im Rahmen des Philharmonischen Konzertes der Norddeutschen Philharmonie Rostock wird ihre Komposition „Compulsive for Orchestra” buchstäblich als Zugabe gespielt.
Der Wettbewerb fand zum zweiten Mal statt und richtet sich an Studierende der Rostocker Hochschule für Musik (hmt). Jeong-Ah Lee studiert hier seit 2023 Komposition. Für die 25-jährige Koreanerin ist die Zusammenarbeit mit einem professionellen Orchester und die Aufführung vor einem großen Publikum eine bedeutungsvolle Erfahrung. Ihre Komposition soll dabei an den Konzertabenden akustisch wie konzeptionell einen starken Kontrast setzen, denn vor ihrem Werk steht „Má vlast”, das berühmteste Werk des tschechischen Komponisten Bedřich Smetana, auf dem Programm. Dieser Kontrapunkt ist integrales Kriterium des Wettbewerbs: „Eine Zugabe sollte das Konzert wirkungsvoll abrunden – und dem Programm zugleich einen Gegenwartsbezug durch neueste Musik verleihen”, so Jan Meßtorff, Jurymitglied und künstlerischer Mitarbeiter der hmt.
Der Gegenwartsbezug ist im Falle von Jeong-Ah Lees Werk ein Bruch mit musikalischen Traditionen, es dekonstruiert Klangkonventionen. „Ich wollte neue Klänge entdecken, das klangliche Maximum bereits etablierter, standardisierter Klangkörper ausschöpfen“, erklärt die junge Komponistin. Der Bruch mit Hörerwartungen und konventionellen Spielweisen der Orchesterinstrumente stelle bei Jeon-Ah Lee keinesfalls einen Selbstzweck dar, sie „trägt durch neuere Spieltechniken zur klanglichen Vielfalt der Komposition bei”, betont Jan Meßtorff.
„Extreme und Harmonie”, so fasst Jeong-Ah Lee ihre Komposition zusammen: „Das Publikum wird einen Prozess erleben, in dem extreme Klänge auftauchen und sich schließlich gemeinsam wieder in Richtung eines neuen Extrems zuspitzen.” Dabei arbeitet die Komponistin zu Beginn mit klar strukturierten Loops, um das Stück in einen freieren, aleatorischen Schluss zu führen, wie Jan Meßtorff ausführt. Starke dynamische Kontraste seien ein weiteres wesentliches Merkmal der Komposition. Das Stück bringe so den „nötigen Drive mit”.
Jurymitglied Dong Dong Liu, ebenfalls Lehrbeauftragte an der hmt, ergänzt: „In der Jury waren wir uns ziemlich schnell einig, dass das Stück von Jeong-Ah Lee heraussticht.” Sie betont, dass die Komponistin mit wenigen, aber gezielten Gesten etwas sehr Ausdrucksstarkes sage. Zudem bleibe das Stück thematisch stark fokussiert und entwickle sich klanglich auf eine in sich stimmige Weise. Das Publikum könne sich auf eine sehr ehrliche und mutige Klangwelt freuen. Das Ganze wirke zugleich verspielt, schräg und fantasievoll; es stecke viel Humor und Charakter darin, meint Jurymitglied Dong Dong Liu.
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In einem Facebook-Reel beantwortet die junge Komponistin Jeong-Ah Lee Fragen zu ihrer Komposition

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Musikalische Vorbilder spielen für Jeong-Ah Lee keine große Rolle: „Ich interessiere mich weniger dafür, von bestimmten Klängen oder Musik inspiriert zu werden, sondern mehr für die Idee, Nichtmusikalisches in Musik zu übersetzen. In diesen Tagen konzentriere ich mich besonders darauf, Dinge zu vertonen, die ganz natürlich aus mir selbst heraus entstehen.” Ihre musikalische Reise in unbekanntes Terrain fand auch an unterschiedlichen geographischen Orten statt. Nach ihrem Bachelorstudium in Korea lebte Jeong-Ah Lee für zwei Jahre in Großbritannien, um schließlich in Rostock ihr Studium weiterzuführen. Durch den Besuch einer englischen Konfessionsschule und die dortigen Erfahrungen im Kirchenchor, habe sie sich intensiv mit englischer Kirchenmusik auseinandergesetzt. Diese Einflüsse seien insbesondere auch in ihren Chorkompositionen zu hören. Trotz ihrer Jahre in Korea sei sie weitaus stärker und nachhaltiger von europäischer Musik beeinflusst.
Die Pianistin ist optimistisch, dass sie die sogenannte „Neue Musik” als zwar fest etablierte, aber ausgesprochene Nischenunterhaltung zukünftig ausbauen kann: „Ich denke, das wird sich mit der Zeit von selbst lösen.“ Sie zeigt sich zuversichtlich, dass man nicht dauerhaft ausschließlich Musik aus dem 17. bis 19. Jahrhundert spielen werde. Das Interesse der jungen Generation an klassischer Musik nehme deutlich zu. Sie vermutet, dass viele von ihnen über dieses Interesse auch zur Neuen Musik finden könnten, da sie noch weniger bekannt und damit spezieller sei.
Optimistisch äußerten sich Jan Meßtorff und Dong Dong Liu zum Verlauf des Wettbewerbs „Zugabe 3’33”. Liu ist mit dem Format zufrieden, denn es gibt Studierenden die Möglichkeit, eigene Orchesterstücke zu schreiben und mit professionellen Musikerinnen zusammenzuarbeiten. Es schaffe zugleich einen lebendigen Austausch zwischen Komponierenden, Ensemble und Publikum. Zudem vernetze die hmt das Orchester und die Stadtgesellschaft. Sie hofft auf eine Ausweitung mit Teilnehmenden aus weiteren Regionen. Das 9. Philharmonische Konzert „Smetana Plus” mit Jeong-Ah Lees Komposition „Compulsive for Orchestra” findet am 25., 26. und 27. Mai im Volkstheater Rostock statt. Im Rahmen des „Forums Junger Komponisten” ist Jeong-Ah Lee zudem gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Junhyeong Park am 26. Juni im Kammermusiksaal der hmt zu hören.
(Titelfoto: Jeong-Ah Lee @studio, hmt Website)
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