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Neue Musik in Rheinsberg (II): Die Pflege des Unpopulären

Zum Konzert des Kymatic Ensembles: Helmut Zapf und Kathrin Kieseritzky über die Relevanz neuer Klänge 

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Von Til Rohgalf

Am kommenden Freitag ist im Schlosstheater Rheinsberg das Kymatic Ensemble zu Gast. In Moskau als junges Kollektiv gegründet, sind die Mitglieder mittlerweile nach Deutschland gezogen und wohnen in Berlin. Kymatic wurde zum „Residenzensemble für Neue Musik der Musikakademie Rheinsberg 2023/24” gekürt.

Die Musiker*innen verstehen das Konzert nicht als abgeschlossene Darbietung, sondern als offenen Prozess: Die Performance kombiniert elektronische Live-Musik mit KI-generierten Visuals und interaktiven Elementen. Im Zentrum steht eine künstliche Intelligenz, die in einen analogen Synthesizer integriert ist und in Echtzeit musikalische Entscheidungen trifft. Ein Vision-System erzeugt parallel Projektionen, die auf die Musik reagieren und mit ihr in Dialog treten.

Das Publikum kann über Smartphones direkt mit der KI interagieren und sich an Gesprächen über Kreativität, Autonomie und Maschinenbewusstsein beteiligen. Die Aufführung versteht sich als Experiment, das die Grenzen zwischen menschlichem und maschinellem Gestalten befragt.

Zeitgenössische Komponist*innen und Musiker*innen wie auch das Ensemble Kymatic bieten Hörer*innen viel Spannendes, Neues und Außergewöhnliches. Auf Spielplänen dominieren dennoch oft Werke von Mahler oder Beethoven. Die Beharrungskräfte sind entsprechend groß.

Im Interview mit dem Kulturkompass MV erörterte der Komponist Helmut Zapf seine Perspektive auf das Phänomen, dass sogenannte Neue Musik in vielen Konzerthäusern Deutschlands noch immer ein Nischendasein friste. Auch Kathrin von Kierseritzky vom Aduma-Quartett beschäftigte sich im Interview mit dem Kulturkompass mit dieser Frage: 

„Zeitgenössische Musik zu spielen ist wunderbar, denn – wie der Name ja schon sagt – ist es die Musik der Zeit, zu der man gerade lebt, und damit spiegelt sie das aktuelle Leben, die vorherrschenden Diskurse, die Kultur, Probleme und Lösungsversuche. Gerade deshalb sollte sie auch gehört werden – nicht, weil sie etwa politische oder sonstige Aussagen treffen will, sondern weil sie als Kunstform das alles der Gegenwart (und Vergangenheit) aufnimmt und „verarbeitet“ und Fragen stellt und zur Reflexion anregt.” Die Musik (und alle Kunstformen) der jeweiligen Gegenwart anzuschauen, bringe einen zur Auseinandersetzung mit sich selbst und dem, was einen umgibt, und sei deshalb so wertvoll, meint Kathrin von Kierseritzky.

Aber was bedeutet das für die Konzertpraxis? 

Das Aduma-Quartett habe gute Erfahrungen damit gemacht, in seinen Programmen neben etablierten, vom Publikum als „gut hörbar“ eingestuften Werken aus der Klassik oder Romantik immer auch ein oder zwei neuere, etwas avantgardistischere Werke zu spielen. Das kann das Publikum dann ganz gut verkraften, wenn sie so „dosiert“ angeboten würden – manchmal seien die Zuhörer etwas befremdet oder sagen vielleicht, das sei für ihre Ohren weniger „schön“ gewesen – aber sie hätten es angehört und seien nicht etwa gegangen. „Jede einzelne Hörerfahrung zählt“, findet Kathrin von Kierseritzky.

Helmut Zapf beschreibt das Nischendasein Neuer Musik nüchtern: Selbst wenn Dramaturgen oder Dirigenten mehr zeitgenössische Werke programmieren wollten, stoßen sie schnell auf ökonomische Grenzen. Publikum bleibe weg, die Einnahmen schrumpften. Die Ursache liegt, so Zapf, tiefer: Das Publikum habe zu wenig Gelegenheiten, das Neue wirklich kennenzulernen. Es fehlt die Übung im Hören, die Vertrautheit mit dem Unbekannten.

So entsteht ein Kreislauf: Weil das Publikum das Neue nicht kennt, meidet es entsprechende Konzerte. Weil es sie meidet, werden sie seltener angeboten. „Wie eine Katze, die sich in den Schwanz beißt“, sagt Zapf.

Hinzu kommt die veränderte Hörpraxis der Moderne, denn seit der Erfindung der Schallplatte, verstärkt durch Radio, CD und Streaming, wählten Hörer*innen vor allem das aus, was ihnen unmittelbar gefalle oder bekannt sei. Musik wird konsumiert, nicht erlernt. Man kann Musik „lieben“, ohne je eine Note gespielt oder gesungen zu haben. „Musik zu hören bedarf keiner Anstrengung mehr, man bedient sich nur noch“, sagt Zapf. Der passive Zugriff ersetzt das aktive Lernen.

Zapf fordert jedoch nicht einfach ein „besseres Publikum“. Er formuliert eine doppelte Verantwortung: Auch die Neue Musik selbst müsse auf die veränderte akustische Umwelt reagieren, ohne ihre ästhetische Integrität aufzugeben. In einer Welt, die von Werbesounds, Klingeltönen und akustischem Fastfood überlagert ist, sei Komponieren heute auch eine Form von „akustischem Umweltschutz“. Musik müsse Räume schaffen, die dem Lärm der Gewohnheit etwas entgegensetzen.

Die Konsequenz daraus ist kulturpolitisch. Neue Musik ist selten populär und wird es wohl auch nie sein. Zapf spricht offen von ihrem „elitären“ Charakter – nicht als Distinktionsgeste, sondern als Beschreibung einer Tatsache. Was nicht massenkompatibel ist, braucht Förderung. Kultur bedeute Pflege, sagt er. Und gepflegt werden müsse nicht das Populäre, das sich ohnehin ausbreitet, sondern das Seltene, Zarte, Anspruchsvolle. Er verwendet das Bild des Gartens: Die besondere Pflanze brauche Zuwendung, damit der Garten in seiner Vielfalt gedeihe. Wer Kulturpolitik nur in Zahlen denkt, verfehlt ihr Wesen.

Die Musikakademie Rheinsberg wendet sich diesen unpopulären Klängen zu. Erlebbar ist dieser Anspruch am Freitag, dem 24.10., mit dem Konzert des Kymatic Ensembles im Schlosstheater.

Titel: Kymatic Ensemble (Foto: @Kymatic)

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Til Rohgalf studierte Sonderpädagogik, Philosophie und Geschichte (M.A.), er ist im Schuldienst tätig, musikbegeistert und musikalisch aktiv. Ihn interessieren politische, kulturelle und geistesgeschichtliche Themen.
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