Leben auf einem beschädigten Planeten

„Seltsamer Regen” im TRAFO in Szczecin

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von Til Rohgalf

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Worte finden im Angesicht der Katastrophe. Darum geht es in den Videoinstallationen, die die polnische Künstlerin Karolina Breguła in der Stettiner Kunstgalerie TRAFO zeigt. „Dziwny Deszcz”, auf Deutsch „Seltsamer Regen“, lautet der Titel ihrer Werkschau. Ihr jüngster Film, den sie eigens für die Ausstellung im TRAFO erarbeitete, trägt ebenfalls diesen Titel und die Protagonistin fragt darin: „Das Warten langweilt dich bestimmt langsam, oder ?“

Mit Fuchspelzmantel, Wasserstandsmesser und Einkaufstasche durchwandert sie ein Feuchtgebiet. In einem endlos scheinenden Monolog erinnert sie in resignativer Sachlichkeit an die Auswirkungen des Klimawandels, schmelzende Gletscher, Artensterben und sauren Regen. Dabei lässt Karolina Breguła die Protagonistin im Film wie in einer Endlosschleife gefangen auftreten. Das Gefangensein in einer fatalistischen Schleife der ökologischen Katastrophen auf das eigene Gegenwartserleben zu übertragen, liegt beim Betrachten des Films nahe.

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Foto: Stettin und der Weltozean von Karolina Breguła

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Auch in den übrigen Videoinstallationen, von denen einige zum ersten Mal in Polen zu sehen sind, setzt sich Karolina Breguła mit der menschlichen Erfahrung mit Kriegen, sozialen Verwerfungen und der Klimakatastrophe auseinander. Das Motiv des Verlustes – von Sicherheit, sozialer Bindung oder Vertrauen – kehrt in allen ausgestellten Werken wieder. Das Erlebte in Worte zu gießen, die traumatische Erinnerung zu externalisieren und so zum Gegenstand des sozialen Austauschs zu machen, ist für die multidisziplinäre Künstlerin dabei eine zentrale Strategie.

„Breguła sucht nach einer Sprache, die es uns ermöglicht, die sich dynamisch verändernde Realität zu verstehen und zu beschreiben; eine Zeit des Chaos und der Zerstörung zu veranschaulichen, ohne die Hoffnung zu verlieren; und kollektive Reflexion anzuregen. Ihre Methode ist die Zusammenarbeit, gemeinsames Geschichtenerzählen und das Anbieten von Entschuldigungen für das Zusammensein”, heißt es treffend im Ausstellungstext.


In der fünfkanaligen Videoinstallation „The Storm”, die 2024 in Nordirland entstanden ist, berichten mutmaßliche Augenzeug*innen von einer sich anbahnenden Sturmflut, die eine Insel bedroht. Jede Person erscheint auf einem eigenen Bildschirm und spricht für sich allein. Mal überschneiden sich die Tonspuren, mal ist nur eine einzelne Stimme zu hören. Die Protagonist*innen schauen, in vom Schreck erstarrter Mimik, frontal in die Kamera. Es herrscht angesichts der Bedrohung keine Solidarität zwischen den Betroffenen. Jede*r drückt eine eigene Perspektive auf die Gefahrenlage aus. Situativ gespickt mit abfälligen Bemerkungen. Die Naturkatastrophe geht damit auch einher mit einer kommunikativen Katastrophe: Narrative stehen sich unerbittlich gegenüber und verhindern das gemeinsame Handeln.


Mit dem Thema des Verlustes von Heimat und sozialem Netzwerk setzt sich Karolina Breguła im 2021 in Taiwan entstandenen Film „Dust” auseinander. Die Protagonistin berichtet, wie ihr Haus gegen ihren Willen abgerissen werden soll. Fatalistisch erzählt sie von dem Prozess, den sie in ihrer Machtlosigkeit wie ein unumkehrbares Schicksal erlebt.

Ein weiteres audiovisuelles Werk begleitet eine schwedische Fischerin, die durch ein Meer navigiert, in dem es keine Fische mehr gibt. Auch in dieser Arbeit gelingt es der Filmemacherin, bekannte mediale Narrative – in diesem Fall den lokal massiven Rückgang von Fischbeständen – von der abstrakt-distanzierten Perspektive zu lösen. Sie konkretisiert diese in Einzelschicksalen. Durch die schier endlosen Monologe und Karolina Bregułas eindringliche Bildaufnahmen wird beim Betrachten die Gewissheit des eigenen und kollektiven Betroffenseins evoziert.


Die Zusammenstellung von Bregułas Werken im TRAFO eignet sich nicht zum Kunsterlebnis im Vorbeigehen. Die Schau erfordert auch in ihrer räumlich-architektonischen Gestaltung aufmerksames Verweilen. Es lohnt sich, in Bregułas filmische Werke einzutauchen. 

Als bildende Künstlerin, Filmemacherin und Fotografin lebt und arbeitet Karolina Breguła (* 1979) in Szczecin. Sie unterrichtet an der Kunstakademie in Stettin und realisiert Installationen sowie soziale Kunstprojekte. Im Zentrum ihres Schaffens steht das Erzählen. Ein besonderer Fokus liegt auf dem kollektiven Schreiben von Belletristik, das sie seit einigen Jahren als eine Form politischer Praxis versteht. Für Breguła ist das gemeinsame Erzählen ein Werkzeug zur Analyse, Artikulation und Aushandlung gesellschaftlicher Konflikte. Ihre Werke wurden international gezeigt – unter anderem im Jüdischen Museum in New York, im Museum of Contemporary Art in Taipeh und im Tokyo Photographic Art Museum. Auch auf internationalen Kunstfestivals war sie vertreten, darunter bei der Biennale von Venedig und der Biennale von Singapur. Für ihr künstlerisches Schaffen wurde Karolina Breguła mehrfach ausgezeichnet.


Die Ausstellung „Dziwny Deszcz” ist noch bis zum 08.06.2025 zu sehen.

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Titelfoto: Karolina Breguła, „Low Tide“, photograph, 2023, 
Courtesy of the artist and lokal_30 gallery

Til Rohgalf studierte Sonderpädagogik, Philosophie und Geschichte (M.A.), er ist im Schuldienst tätig, musikbegeistert und musikalisch aktiv. Ihn interessieren politische, kulturelle und geistesgeschichtliche Themen.

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