Kraut und … Ordnung

von Gerald Ullrich

Man kann darüber streiten, ob stadtökologische Fragen in einem auf Kultur fokussierten Medium richtig aufgehoben sind. Ich meine schon, denn „die Natur“ haben wir im Lebensraum Mensch ja nahezu vollständig eliminiert, weshalb das, was nun als Natur erscheint, in Wahrheit von Menschenhand gewollter, also im weiteren Sinne kultivierter Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist.

Dass es mannigfaltig kultivierte Lebensräume gibt, lässt sich mühelos an unterschiedlich komponierten Vorgärten ablesen. Manche sind erkennbar als Einladung an Bienen und Insekten gestaltet, nachdem deren dramatischer Schwund in den letzten Jahren zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit gefunden und in manchen Teilen der Bevölkerung auch Besorgnis ausgelöst hat. Am anderen Ende des Spektrums stehen „Steingärten“, die dem Muster folgen: als Besitzer entscheide ich, wer oder was in meinem Vorgarten ist, nämlich (nur!) diese und jene Pflanze, und ansonsten haben weder Insekten („Schädlinge“) noch „Unkraut“ dort irgendetwas verloren! Deshalb am besten außer den ausgestellten Pflanzen mit Kies oder anderen Gesteinen befüllen. 

Neben Gartenbesitzern können auch Kommunen sich irgendwo zwischen Wildwuchs einerseits und aufgeräumter grüner Wüste andererseits positionieren. Da es bei Kommunen oft um große Flächen geht, haben deren Entscheidungen naturgemäß eine enorme Tragweite. Es macht in vielerlei Hinsicht einen bedeutenden Unterschied, ob eine Kommune z.B. entscheidet, die eigenen Grünflächen weitgehend oder völlig pestizidfrei zu bewirtschaften und insektenfreundlichen Bewuchs zu befördern. 

Schwerin gehört, einer Auflistung des BUND zufolge, zu diesen auf Pestizide verzichtenden und insektenfreundlichen Bewuchs fördernden Kommunen. Als der BUND mit dem Projekt vor 5 Jahren begann, waren 200 Kommunen in Deutschland an Bord, wie die zuständige Referentin Corinna Hölzel, Referentin Pestizidpolitik/Insektenfreundliche Kommunen und Gärten in der Abteilung Biodiversität/ Team Landnutzung beim BUND, auf Nachfrage berichtete. Heute sei man bereits bei fast 600 Kommunen. Leider beantwortet die Datenbank des BUND nicht die Frage, die ich mit meiner Mail an den BUND auch gestellt hatte, nämlich wie viele dieser Kommunen aus den Neuen Bundesländern stammen. 

Die Früchte dieser neuen kommunalen Politik kann man in Schwerin übrigens an verschiedenen Stellen bewundern. So wachsen am Ziegelinnensee, in von der Morgensonne aufgewärmter Hanglage auf Höhe der Dr.-Hans-Wolf-Straße, endlich reich blühende, selbst angesiedelte Pflanzen unterschiedlicher Couleur. Dass auch richtige Schmuckstücke darunter sind, jedenfalls wenn man die Augen aufmacht (und nah genug herangeht), zeigt das nachfolgende Foto einer dort im April/Mai blühenden Pflanze.Laut der zur Bestimmung befragten App (Plantnet) handelt es sich wohl um die Saat-Esparsette (Onobrychis viciifolia Scop.). Haben Sie von der schon je gehört? Ich jedenfalls nicht. Diese Pflanze soll laut Wikipedia vorwiegend als Trockenfutterpflanze und zur Bodenverbesserung verwendet werden. Sie stamme ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, während sie im mitteleuropäischen Tiefland „fast vollständig fehlt“. Damit dürfte sie bei uns in Schwerin eigentlich gar nicht vorkommen! Aber vielleicht hat sich Plantnet auch getäuscht (die Urteilssicherheit bei dem von uns eingereichten Foto lag auch nur bei 22 %, also Pflanzenkenner bitte nach vorne!).

Dass in einer auf Pestizide verzichtenden und insektenfreundliche Pflanzen fördernden Kommune wie Schwerin noch reichlich Luft nach oben ist, zeigt das folgende Bild.

Der Hang, auf dem die Esparsette zu sehen war, ist vollständig abgemäht – anstatt wenigstens kleine Streifen noch stehen zu lassen, damit nicht alle futterspendenden Pflanzen auf einen Schlag verschwinden. Das Bild zeigt übrigens schön, wie der Hang früher ganzjährig aussah: alles schön übersichtlich und ordentlich! Dass eigentlich ein ganzes Meer an unterschiedlich geformtem und blühendem Leben in diesem Boden steckt, ist in diesem Bild kaum zu erahnen und zeigt sich aber, wenn man es einfach zulässt

(Fotos: Gerald Ullrich, Titelfoto: © Helga Kattinger, Pixabay)

.

Gerald Ullrich, Jahrgang 1959, seit 2005 mit seiner Frau in Schwerin lebend, eher natur- als kulturbegeistert, aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, ist sein Interesse zumeist groß. Als Psychotherapeut gilt seine berufliche Aufmerksamkeit allerdings dem Einzelnen. Er betreibt mit seiner Frau auch einen eigenen Blog.

Sie möchten uns zu dem Beitrag ihre Meinung sagen? Haben Vorschläge, Ideen oder Kritik? Hier ist dafür die richtige Adresse: info@kulturkompass-mv.de

Verwandte Beiträge