Clemens Tremmel über Demut und das Erbe der Romantik
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von Til Rohgalf
Der Kunstverein Wiligrad zeigt in der aktuellen Solo-Ausstellung Arbeiten des Leipziger Malers Clemens Tremmel. Seine Ölbilder fangen die Sehnsucht romantischer Landschaftsmalerei ein. Clemens Tremmel fertigt aber nicht nur atemberaubende, oft großformatige Motive im altmeisterlichen Stil auf ungewöhnlichen Materialien wie Aluminium oder Messing. In vielen seiner Werke manipuliert er seine fertigen Bilder durch absichtliche Kratzer oder Löcher – mit Axt, Hammer, Säge, Stichel und Schere. So erzeugen seine Arbeiten eine eigenwillige Spannung und eröffnen weitere Ebenen der Deutung.
Für den Kulturkompass beantwortete Clemens Tremmel Fragen zu seinem Werk und zur aktuellen Ausstellung. Unter dem Titel „Spektrum“ zeigt sie Arbeiten aus den letzten fünf Jahren.
Reisen sei seit Jahren für den Künstler essenzieller Bestandteil seiner Tätigkeit. „Ausschlaggebend für meine Arbeit ist das Erlebnis Landschaft. Dafür bereise ich die unterschiedlichsten Orte – von Peru bis Indonesien. Jede Region hat ihre ganz eigenen Besonderheiten. Die versuche ich malerisch aufzugreifen und wiederzugeben. Von Islands mystisch-rauhen Vulkanlandschaften bis hin zu Jordaniens erzählerisch-mosaikhaften Oasen.“
Die Vielfalt der Orte wird auch in der Wiligrader Ausstellung sichtbar: Nicht nur die Motive erzählen von Tremmels Erlebnissen rund um den Globus – auch stilistisch reichen seine Arbeiten von den großformatigen Landschaftsmalereien über abstrakte Werke bis hin zu kleinen Formaten, in denen er mit Öl auf bedrucktem Papier arbeitet.

Die Kratzer, Risse und Löcher in vielen seiner Werke stellen ein wichtiges Charakteristikum in Clemens Tremmels Schaffen dar. Ursprünglich sei seine Motivation gewesen, durch diese nachträgliche Zerstörung auf ein bestehendes Defizit hinzuweisen, auf etwas, das „verloren geht“. Mit den Landschaften verbinde er bestimmte Werte wie „Natürlichkeit, Demut, Mitgefühl“.
Werte, die Tremmel in der Gegenwart nicht mehr finde. Seine Kunst hat somit auch einen gesellschafts- und gegenwartskritischen Impetus: „Schneller, lauter, besser heißt es ja oft. Ob das wirklich der beste Weg ist, stelle ich in Frage.“
Für den Künstler ist Demut von zentralem Wert in einer Welt, „in der jeder ein Star sein will“. Demut bedeute auch, anzuerkennen, „dass jeder Mensch bereits mit der Geburt ein Star ist. Niemand ist so wie du, du bist einzigartig wie jeder andere auch – somit sind wir alle auch ganz normal.”


Mit gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen bewusst zu brechen, war auch ein zentrales Charakteristikum künstlerischen Ausdrucks der romantischen Epoche. Den Zeitgeist der Aufklärung, des Fortschrittsnarativs und des Primats der Rationalität galt es, zu dekonstruieren.
Clemens Tremmel wurde 2013 mit dem Caspar-David-Friedrich-Preis ausgezeichnet. Er gilt als Hauptvertreter einer „Neuen deutschen Romantik“ und sieht sich selbst in der romantischen Tradition der Gegenwartskritik: „Es [geht] mir darum, auf Werte aufmerksam zu machen, die mir heutzutage etwas zu kurz kommen, vielleicht sogar in Vergessenheit geraten. Statt der Jagd von Highlight zu Highlight, dem stetigen Einatmen und Konsumieren werbe ich für Ruhe, Gelassenheit und die Chance, auch mal auszuatmen.“
Der Mensch, der klein und demütig wird im Angesicht der atemberaubenden Natur, ist ein Topos in romantischer Tradition. Die zerstörerische Kraft, die Tremmel bei seiner Arbeit anwendet, verweist auch auf die menschliche Hybris von der Beherrschbarkeit der Natur und dem Diktat des Wachstums mit seinem Ressourcenhunger. Mit den bekannten Folgen der Naturzerstörung und Klimakatastrophe.
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Mittlerweile verwendet Tremmel seine gezielten Beschädigungen aber auch als stilistischen Ausdruck, um Merkmale der Natur bildlich und haptisch einzufangen. So komme es vor, „dass zum Beispiel die Rohheit scharfer Eisschollen oder Gletscher auch in Form von Einschnitten im Bild sichtbar gemacht werden, um der Urgewalt den entsprechenden Ausdruck zu verleihen.“
Clemens Tremmel (Foto: Reiter Galleries)
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Auch das Prozesshafte, das Unfertige der Natur wird durch Tremmels zerstörerische Interventionen greifbar: „Die Natur ist kein fertiges Bild, sondern ein ewiger Kreislauf aus Werden und Vergehen.”
Der gebürtige Eisenhüttenstädter hat bereits viele atemberaubende und ungewöhnliche Orte in der Welt kennengelernt. Brandenburg sei aber die Region, die ihn noch immer am eindrücklichsten bei seinem künstlerischen Schaffen präge. Es sei schließlich der Ort, an dem er aufgewachsen ist: „Die Erdigkeit, die Schwere, die leichte Tristesse und Melancholie nehme ich überall mit hin. Das hat mich geprägt und ich denke, man sieht es auch all meinen Arbeiten an. Das schwingt mit – egal, ob ich nun Mexiko, Schottland oder Vietnam male.“
Der Kunstverein Wiligrad setzt die Auswahl von Clemens Tremmels Werken gelungen in Szene. Die Hängung ermöglicht es, die stilistischen Schwerpunkte des Künstlers nachzuvollziehen. Eindeutige Blickfänge stellen dabei Tremmels Großformate dar, die zu Beginn der Ausstellung im Erdgeschoss zu sehen sind.

Eine geradezu meditative Ruhe strahlen die nächtlichen Bilder aus der Reihe „Das Meer” aus. In diesen Bildern sind es zum Teil nur feine Linien der Gischt – fern im vermuteten Horizont –, die das nächtliche Schwarz durchbrechen. Auf nachträgliche Interventionen verzichtet Clemens Tremmel (* 1988) in dieser Werkreihe. „Demut“ ist wohl das passende Wort, um das Gefühl beim Betrachten dieser Bilder zu beschreiben. Vielleicht sind es auch die Werke, die den romantischen Vorbildern am nächsten kommen.
(Alle Fotos: mit freundlicher Genehmigung von ©Clemens Tremmel)
Die Ausstellung im Kunstverein Wiligrad ist noch bis zum 31. August zu sehen.
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