Auf Augenhöhe: Manfred W. Jürgens mit dem Pinsel und Katharina John mit der Kamera im Kunstverein Wiligrad.
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von Susanne Scherrer
Noch bis zum 6. Juli ist die Verbindung von fotorealistischer Malerei mit wie gemalten Fotografien im Schloss Wiligrad zu sehen. „Auf Augenhöhe“ lautet der Titel. Der in Grevesmühlen geborene und heute in Wismar lebende Künstler Manfred W. Jürgens hat sich mit der aus Hamburg gebürtigen Fotografin Katharina John zusammengetan. Beide präsentieren das, was sie selbstbewusst beherrschen: filigran an alten Meistern orientierte Malerei und teilweise grobkörnige schwarz-weiße Fotografien, die einen präzisen, aber ambivalenten und zuweilen humorvollen Blick auf unsere Welt und ihre Menschen werfen.


Die getäfelte Vorhalle und das Treppenhaus, der dem See zugewandte Ausstellungstrakt mit den großen Erkerfenstern und die oberen Galerien kombinieren überall Gemälde und Fotografie. Nebeneinander hängen erstaunliche Porträts von Menschen, die eine Geschichte zu erzählen hätten. Wir sehen ihr Gesicht, die Furchen, die Falten, die Flecken auf der Haut. Auf dem Gemälde, auf dem Foto. Manfred W. Jürgens porträtierte Sir Peter Ustinov und Helmut Schmidt, beide als hochbetagte Senioren. Bei Katharina John sind es ebenfalls ältere, auch sehr alte Menschen, deren mit vielen lebenserfahrenen Gravuren behaftete Ausdruckskraft fasziniert. Wann wird unsere auf jugendlich-glatte Gesichtslosigkeit getrimmte Gesellschaft das alte Gesicht, den für sich sprechenden Ausdruck erkennen und Fragen stellen wollen?


Manfred W. Jürgens hat Humor. Er malt die Kuh Soraia lebensecht in einer Lasur- und Mischtechnik auf Leinwand und Holz. Und fotografiert Soraia, wie sie ihr eigenes Bildnis bestaunt, vielleicht sogar „küsst“ oder doch sympathisierend beleckt, umgeben von ihrer Besitzerfamilie, die amüsiert und ein wenig ratlos dreinschaut. Katharina John fotografiert immer wieder, mit einem belustigten und liebevollen Blick, ihren Mann Ulrich Tukur in verschiedenen Posen, auf dem Fahrrad am Lido in Venedig, auf einem Steg liegend, mit seiner Band, immer sich selbst inszenierend. Jürgens, John und Tukur scheinen sich lange zu kennen, ihre Arbeiten nehmen aufeinander Bezug.


„So ist Malerei, alles ist möglich und irgendwie ist jedes Bild auch ein Selbstbildnis“, so fasst der in Wismar lebende Künstler Manfred W. Jürgens seine Erfahrungen zusammen. Nachzulesen ist der Satz in einem der Begleittexte, die oft neben seinen Arbeiten zu finden sind.
Die zu dieser Jahreszeit beinahe unwirklich idyllische Umgebung, das Jagdschloss am See, umgeben von üppig blühenden Hortensien und einem besucherfreundlichen Park mit geharkten Kieswegen, beruhigt und erhöht die Konzentration. Verharren wir eine Weile im Garten, schauen wir auf den See, immer gerahmt von hohen alten Bäumen. Und dann treten wir ein.



Am 12. Juli um 17:00 Uhr eröffnet der Kunstverein Wiligrad eine neue Ausstellung mit Gemälden von Clemens Tremmel: „SPEKTRUM“. Weitere Ausstellungen folgen. Im kommenden Jahr soll Schloss Wiligrad ein Facelifting erhalten – aber der Betrieb soll non-stop weitergehen – im Maschinenhaus nebenan. Das macht neugierig.
(Titel: Manfred. W. Jürgens: Portrait-Zyklus Huren, Lasur- und Mischtechnik auf Holz, 1996/97). Alle Fotos: © Susanne Scherrer.
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Susanne Scherrer, studierte Dipl.Pol., forscht zur Familie Mendelssohn, übersetzt aus dem Ungarischen, vermittelt und unterstützt Literatur, Konzert- und Kunstevents. Lebt in Schwerin.