Intrigen im Alten Rom

Gefeierte Opernpremiere in der Schweriner M*Halle

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Von Christian Franke und Til Rohgalf 

Monteverdis Oper „Die Krönung der Poppea“ feierte am Freitag in der Schweriner M*Halle Premiere. Regiesseurin Judith Lebiez und der Dramaturg Thomas Schmidt-Ehrenberg verarbeiten in diesem frühbarocken Werk zeitlose Themen von Liebe, Leidenschaft, Machtgier und Tugend.

Gegenstand der Oper ist die historische Intrige der Poppea, sich zur Kaiserin des Römischen Reichs an der Seite Nerones zu machen. Der Versuch der betrogenen Ehefrau Nerones, Ottavia, dies zu verhindern, endet nach vielen Verwirrungen in Verbannung. Musikgeschichtlich stellt die Oper eine hörbare Loslösung frühbarocker Kompositionen von der polyphonen Musik der Renaissance dar. 

Monteverdis Priorisierung der Einzelstimme lässt auch in der Oper die Grenzen von Rezitativ und Arie verschwimmen: Viele Szenen gehen fließend von erzählerischen Passagen zu lyrischen Momenten über – das sorgt für natürliche Sprachmelodik und dramatische Lebendigkeit – wie emotionale Ausbrüche aus dem Rezitativ heraus.

Der musikalische Leiter der Schweriner Inszenierung, Martin Schelhaas, besetzt das Kammerorchester mit Violine, Viola, Violoncello und für die Entstehungszeit der Oper authentisch mit Cembalo, Harfe, Cembalo, Gambe und Theorbe. Er selbst spielt die Truhenorgel. Das Orchester agiert in einem blickdurchlässigen, aber klangdämmenden Raum. Instrumentation und Spielort erzeugen ein warmes, zurückhaltendes, fast intimes Klangbild, das viel Raum für die Gesangsstimmen lässt. Tobias Tietze an der Schalenhalslaute, wie die seit der Renaissance bekannte Theorbe auch genannt wird, übernimmt eine tragende und sehr präsente Rolle. Mit ihrem charakteristischen Klang erzeugt die Theorbe sowohl in lyrischen Momenten als auch in den emotionalen Ausbrüchen der Musik markante Akzente.

Der Prolog zeigt Amor (Liebe), Virtù (Tugend) und Fortuna (Glück) im Widerstreit über deren Einfluss auf den Verlauf der Dinge. Amor als das waltende und ordnende Prinzip beendet den Disput, indem sie behauptet, dass sie allein darüber bestimmt, wie sich das Schicksal fügt. 

Federica Moi, Ascelina Klee, Anna Cavaliero (Foto: © Silke Winkler)

Erzählt wird im Anschluss der Aufstieg Poppeas zur Kaiserin und mithin der Sieg der Liebe über Moral und Vernunft: Im ersten Akt entdeckt Ottone die Affäre zwischen Poppea und Kaiser Nerone, der bereit ist, seine Frau Ottavia zu verstoßen. Der Philosoph Seneca mahnt zur Tugend, wird jedoch auf Poppeas Drängen von Nerone zum Selbstmord gezwungen. Im zweiten Akt endet Senecas Leben, während Ottavia Ottone befiehlt, Poppea zu töten. Das Attentat scheitert. Im dritten Akt klärt sich die Schuldfrage: Ottone, Drusilla und Ottavia werden verbannt. Poppea und Nerone vereinen sich, und Amor triumphiert als lenkende Macht des Schicksals.

Die Geschichte ist eine Allegorie für das menschliche Handeln. Die Liebe ist nicht das, was an sich gut ist. Amor als waltende Kraft ist in der Lage, sowohl das Chaos des Kosmos zu ordnen, aber auch ins Chaos zu stürzen. Sie ist eine Kraft, die nicht durch Tugenden wie Vernunft aufzuhalten ist. Eben jene Kraft zeigt sich zumeist auch im menschlichen Handeln. Nicht die Vernunft herrscht, sondern häufig die blinde und wütende Leidenschaft.

In großer Akribie zeichnet das Orchester das gewaltige Spektrum der Emotionen im Laufe der Handlung nuancenreich nach. Jedes Wort, jede Silbe wird sorgfältig musikalisch gedeutet. Die eindringlichsten Momente erzeugt das Kammerorchester, wenn es das Zögern, das Innehalten und das Fehlen der Worte durch selbstbewusste Pausen erfahrbar macht. Besonders in der Szene, in der sich Gila El Hadidi in der Rolle der Ottavia als Reaktion auf ihre Verbannung von ihrer Heimat Rom verabschiedet. Meisterhaft intoniert El Hadidi hier die Sprachlosigkeit, die Schwerfälligkeit, mit der Ottavia die Abschiedsworte über die Lippen gehen.

Federica Moi in der Rolle von Arnalta, der Amme Poppers, lässt stimmlich aufhorchen. Monteverdi hatte die Arnalta als Männerstimme vorgesehen. Es war in der barocken Oper nicht ungewöhnlich, Rollen älterer Frauen mit oft humoristischen Elementen durch Männer spielen zu lassen.

Regisseurin Judith Lebiez hebt andere Nuancen bei der Ausgestaltung der Arnalta hervor. Federica Moi verschafft der Rolle trotz der Treue zum Libretto eine eigene Würde, nicht zuletzt durch ihre beeindruckende Altstimme. Ihr Schlaflied für Poppea gehört zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.

Sandro Rossi, Anne-Aurore Cochet (Foto: © Silke Winkler)

Als wehleidender Ottone, der sein Herz nach dem Wind richtet, überzeugt Sandro Rossi gesanglich in besonderem Maße. Mit stets leidendem und melodramatischen Timbre besingt er die Rolle des unglücklich Liebenden nicht ohne nötige Doppelbödigkeit und Ironie.Fraglos bildet das Duett zwischen Poppea und Nerone im Schlussakt einen weiteren musikalischen Höhepunkt. Laila Salome Fischer in der Rolle als Nerone und Anna Cavaliero als Poppea verwandeln diese Schlussszene durch ihre starken Gesangsleistungen und ihre harmonisierenden, verschmelzenden Stimmen in den würdigen Abschluss einer überzeugenden Inszenierung.

Petra Schnakenberg,  für das Bühnenbild verantwortlich, nutzt zwei große bewegliche Elemente, die das Geschehen auf der Bühne dominieren. Eine Treppe, die sich auf Rollen bewegt und den Aufstieg in das Erhabene symbolisiert, wird häufig von Poppea und ihrer Amme Arnalta frequentiert. Nerone selbst nutzt vor allem das Rednerpult zur  Demonstration seiner Macht. Überkommt ihn die Leidenschaft, kehrt er immer wieder ins Rund des beweglichen Würfels zurück. Die geometrischen Formen referieren auf das antike Weltbild des geordneten Kosmos. Deren treibende Kraft eben jene Amor ist, die am Ende nicht nur das Schicksal Nerones und Poppers besiegelt, sondern auch die Geometrie und den Aufstieg in das Erhabene vollendet, indem sie die Treppe und den Quader zusammenbringt. Das Ende steht damit für die Vereinigung im vielfachen Sinn: die Bühne, der Gesang und die Liebenden finden die Vereinigung und sorgen für Verzückung des Publikums beim Anblick der Ordnung. Moral und Tugend geraten bei dieser Aussicht auf das Erhabene in Vergessenheit. 

Der große Antagonismus zwischen Vernunft und Tugend sowie Leidenschaft und Rausch ist zeitlos – angesichts einer turbulenten Weltlage aber auch brandaktuell, wie die Schweriner Inszenierung andeutet, ohne moralisierend zu werden. So oszilliert der Abend zwischen psychologischer Nabelschau und machiavellistischer Gegenwartsdeutung:

Wer mag Pate gestanden haben für die Inszenierung des Nerone, der wie am Rednerpult stehend Dekrete zum Schicksal seiner Widersacher*innen herunterspult? Welche Bedeutung hat Seneca als Nerones Lehrer in einer von Machtstreben und Rauschhaftigkeit bestimmten Wirklichkeit? In Schwerin spielt Brian Davis den Stoiker herrlich als anachronistische und weltfremde Karikatur. Bedeutsam auch die Doppelrollen: während Fortuna in der irdischen Analogie als Poppea zur Kaiserin wird (beide gespielt von Anna Cavaliero), fristet die Tugend, als Drusilla (gespielt von Anne-Aurore Cochet) im Verlauf der Handlung an der Seite des verbannten Ottone ein Leben in Armut und Bedeutungslosigkeit. 

Das Publikum in der ausverkauften M*Halle goutierte die Premiere mit lautem und lang anhaltendem Applaus.

 

Titel: Anna Cavaliero, Laila Salome Fischer, Brian Davis (Foto:© Silke Winkler)
 

Zu den Autoren: Christian Franke  und Til Rohgalf

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