Fischland-Darß als Seelenlandschaft 

Sonderausstellung zu Hedwig Holtz-Sommer im Kunstmuseum Ahrenshoop

.

Von Susanne Scherrer

Das Lebenswerk der bildenden Künstlerin Hedwig Holtz-Sommer (1901–1970) ist nicht leicht zu fassen. 80 ihrer Werke zeigt das Kunstmuseum Ahrenshoop derzeit in einem seiner Galerieräume. Über die Hälfte ihres Lebens verbrachte sie in Wustrow, auf dem Fischland. Aufgewachsen in einer gut bürgerlichen Familie, ausgebildet als Schneiderin, Studentin an der Kunstgewerbeschule Kassel und der Akademie in Weimar, arbeitete Hedwig Holtz-Sommer ab 1927 als Malerin. 1933 zog sie mit den Eltern nach Rostock, von dort aus nach Ahrenshoop.

Die Künstlerin begegnet dem Betrachtenden als Selbstporträt auf einer Zeichnung aus dem Jahr 1934, als sie den Malerkollegen Erich Theodor Holtz heiratete, sich endgültig in Wustrow niederließ und noch im selben Jahr der NS-Reichskammer der Bildenden Künste beitrat. Mit energischen Bleistiftstrichen umreißt sie die schmale Kopfform, das halblange Haar liegt ungeordnet zur Seite gestrichen, die Augen hell und groß, der Blick aus tiefen, umschatteten Lidern nach rechts gewendet. Eine lange, schmale Nase weist zum ebenfalls schmalen Mund, die Mundwinkel sind leicht nach unten gezogen, die Stirn in Falten gelegt. Was bewegt sie: Skepsis, Zweifel, Trotz? Ein Jahr voller Umbrüche steht ihr ins Gesicht geschrieben. Auch auf einem anderen Selbstbildnis von 1946, in Öl ausgeführt, zeigt sie sich wenig zugänglich, den Kopf leicht nach links wendend, dabei die Betrachtenden musternd, fordernd oder abweisend?

Noch vor dieser Zeit, 1935, entstehen Ölbilder, wie die beiden großformatigen Werke „Sitzende Bäuerin“ und „Alter Fischländer“. Sie folgen konventionellen Mustern der Porträtmalerei, sind meisterlich gemalt und von ergreifender Intensität im Ausdruck. Auch die regenglänzende Dorfstraße (Titel-Abbildung), deren Konturen sich in der Nässe auflösen, bezeugt das Gefühl der Künstlerin für die Wirkung von Ölfarben. Hedwig Holtz-Sommer soll dennoch testamentarisch festgehalten haben, dass Ölgemälde aus ihrem Nachlass vernichtet werden. Zum Glück haben diese Werke überlebt.

Ihr zeichnerisches Oeuvre widmet sich dem Menschen. Einige Werke zeigen Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, wie sie auch auf Fischland-Darß anlangten, in einen Raum zusammengedrängt, oft einer davon geschwächt, entkräftet, eine Mutter mit dem kleinen Kind fast zu Tode erschöpft. „…auf das Menschliche kommt es an“, so der Titel der Ausstellung, der sich auf diesen Aspekt ihres Schaffens bezieht. In den Kriegsjahren und danach konnte sie sich wiederholt an Ausstellungen in Mecklenburg, Dresden und Hamburg beteiligen. 1947 wurde ihr erstmals eine Einzelausstellung im Rostocker Museum gewidmet.

Nach Gründung der DDR passt sich Hedwig Holtz-Sommer den Erwartungen des herrschenden Regimes an. Sie trat 1950 dem Verband Bildender Künstler bei, deren Mitglieder im Dienste des sozialistischen Aufbaus und der Fortschrittsideologie wirken sollten. Ob ihre Kunst diesen Erwartungen entsprach? Sie suchte Nischen, arbeitete für künstlerische Ausgaben literarischer Werke von Schriftstellern wie Brecht, Tschechow oder Zweig. Hier existieren noch Forschungslücken.

Bekannt geworden ist Hedwig Holtz-Sommer durch ihre Aquarellkunst. Da finden die Farben und Motive aus ihrer unmittelbaren Umgebung auf Fischland-Darß zueinander und durchdringen sich. Wer „Stille“ in Stillleben erwartet, hat sich getäuscht. Zerrupft die Blumen in der Vase, wuchernd die Pflanzen im Garten.

Die Ausstellung zu Hedwig Holtz-Sommer im Ahrenshooper Kunstmuseum ist noch bis zum 7. Dezember 2025 zu sehen. Wer weiter vorausplanen möchte: Vom 13. Juni bis zum 2. November 2026 schließt sich die Rostocker Kunsthalle mit einer Sonderausstellung zu Hedwig Holtz-Sommer an.

Vor kurzem erschien die erste Monografie zu Hedwig Holtz-Sommer, eine gemeinsame Recherchearbeit der Erben sowie von Renate Billinger-Cromm, Melanie Ohst und dem Autor Dr. Wolf Karge: „Hedwig Holtz-Sommer, Auf das Menschliche kommt es an“, edition fischerhuder kunstbuch, 2025, EUR 29,00.

Titel: „Frau auf der Dorfstraße Wustrow im Regen“, wohl 1940er Jahre, Öl auf Holz, Privatbesitz.  (Alle Fotos: Susanne Scherrer)

.

Susanne Scherrer, studierte Dipl.Pol., forscht zur Familie Mendelssohn, übersetzt aus dem Ungarischen, vermittelt und unterstützt Literatur, Konzert- und Kunstevents. Lebt in Schwerin.

Sie möchten auf eine Veranstaltung aufmerksam machen?
Nutzen Sie unseren Event-Kalender: https://www.kulturkompass-mv.de/veranstalter/
Sie möchten ihre Meinung sagen? Mail an: info@kulturkompass-mv.de

Verwandte Beiträge