Der Kulturkompass MV wendet sich einer erinnerungswürdigen Story aus der Musikgeschichte Schwerins zu. In drei Folgen wird Dr. Bernd Kasten, Leiter des Stadtarchivs Schwerin, erzählen, wie sich das „Zweite Norddeutsche Musikfest“ im Jahr 1840 zu einem unübertroffenen Musik- und Chorfest in der Schweriner Geschichte entwickelte. Einen großen Anteil an dem triumphalen Erfolg hatte Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Der kulturbegeisterte Großherzog Paul Friedrich hatte den damals berühmtesten Dirigenten und Komponisten aus Leipzig als Leiter des Musikfestes gewinnen können.
In Folge 3 – Die Nachwirkungen berichtet Dr. Kasten über die dauerhaften Spuren, die das große Musikfest von 1840 in der Musikgeschichte der Residenzstadt und im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin hatte.
von Bernd Kasten
Die vier Norddeutschen Musikfeste zwischen 1839 und 1843 ereigneten sich politisch nicht im luftleeren Raum. In Deutschland war dies die Zeit des Vormärz, des erwachenden Nationalbewusstseins. Das hatte seine positiven Seiten, in der Zusammenarbeit der 10 Städte, die zu sechs verschiedenen souveränen deutschen Bundesstaaten gehörten, wie in dem Stolz auf die Leistungen deutscher Komponisten und Musiker, aber es hatte auch seine dunklen Seiten. So begeistert sich das Freimüthige Abendblatt über die Auswahl der aufgeführten Musikstücke äußerte, so scharf kritisierte die Zeitung, dass am zweiten Tage doch tatsächlich ein Duett aus „Il Puritani“ von Vincenzo Bellini gesungen wurde, da es die „Würde eines deutschen Musikfestes“ erfordere, „nicht italienische Musik und Sprache, sondern nur deutsche zu Gehör zu bringen“.
Angesichts des in Deutschland weit verbreiteten Antisemitismus, der sich noch 1819 in den sogenannten „Hep-Hep-Krawallen“, die auch Schwerin nicht verschonten, gewaltsam Bahn brach, stellt sich die Frage, ob es keine Proteste gegen das Auftreten eines getauften Juden gab. Zumal nur wenige Jahre nach dem Schweriner Musikfest Richard Wagner 1850 sein berüchtigtes Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“ veröffentlichte. Aber tatsächlich gab es 1840 keine antisemitischen Anfeindungen gegen Mendelssohn in Schwerin. Von den Liberalen nicht, denn die Emanzipation der Juden gehörte doch zu den zentralen Forderungen der liberalen Partei, und von den christlichen Konservativen nicht, denn Mendelssohn war schließlich ein getaufter Jude, der überdies christliche Oratorien komponierte, die dazu beitrugen, dass die Menschen wieder in die bereits bedrohlich leer gewordenen Kirchen strömten.
Natürlich gab es in Deutschland weiterhin Konservative, die die liberalen Gesinnungen ihrer Mitbürger nicht teilten und auch nicht an die alle Standesgrenzen überschreitende verbindende Kraft der Musik glaubten. Das Abendblatt jedenfalls konnte nicht umhin, den „unerschütterlichen Kastengeist“ mancher Residenzbewohner zu beklagen. Dass dies in der allgemeinen Begeisterung nicht besonders auffiel, lag in erster Linie am Großherzog, der mit seiner „charakteristischen Leutseligkeit“ und seiner allen gezeigten „Humanität“ großen Eindruck auf die Gäste machte. Das galt auch für Mendelssohn und seinen Freund David, die am 13. Juli auf der Rückreise von Schwerin nach Leipzig Station in Berlin bei Mendelssohns Schwester Rebecka machten.Sie berichtete: „Sie sind entzückt vom Schweriner Fest, vom Großherzog, der für alle Musiker alle Mittag hat kochen lassen, und trotz Trauer erst incog. dann cog. mitgegessen; von der Löwe, ihrem Gesang und ihrer Liebenswürdigkeit … Es geht nichts über die deutschen Nester, was Musik betrifft: Denkt Euch, daß der Großherzog 40 Betten aus dem Schloß und wer weiß wie viel Flaschen champagner geliefert hat, daß er ein schönes Theatergebäude und Koncertsaal hat und Felix versicherte, er hätte sich nie so amusirt.“ Mendelssohn selbst schrieb bereits am 10. Juli aus Schwerin an seine Mutter: „Wie betrunken vor Seeligkeit hier alle Menschen über das eben beendigte Musikfest sind, vom Großherzog bis zu allen Gassenbuben – das ist mir noch nicht so vorgekommen.“
Die Großzügigkeit des mecklenburgischen Landesfürsten beschränkte sich hierbei übrigens keineswegs auf Essen und Champagner. Wie alle Musikfeste schloss auch dieses mit einem erheblichen Defizit. Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang erwähnen, dass die gefeierte Opernsängerin Sophie Löwe wegen ihrer immensen Gagenforderungen gefürchtet war und auch die anderen Solisten keineswegs billig gewesen waren. Aber so wie Paul Friedrich sein Hoftheater finanziell sehr gut ausstattete, so übernahm er auch das Defizit des Schweriner Musikfestes.

Solche freigiebigen Mäzene gab es nicht überall, was sicherlich auch ein Grund dafür war, dass es nur noch zwei weitere Norddeutsche Musikfeste: 1841 in Hamburg und 1843 in Rostock, gab. Aber es existierten für die Einstellung dieser Veranstaltungsreihe auch noch andere Gründe. Die große Gemeinsamkeit, die um 1840 noch Konservative und Liberale, Pastoren und Freimaurer durch die Musik verbunden hatte, löste sich mit der Verschärfung der innenpolitischen Konflikte, die 1848 zur Revolution führten, immer mehr auf. Und in der Reaktionszeit nach 1850 wäre eine solche Veranstaltung erst recht undenkbar gewesen.
Erst als nach 1860 die deutsche Nationalbewegung wieder neue Dynamik gewann, änderte sich das. Zwischen 1860 und 1922 gab es insgesamt 15 große Musikfeste, die nun freilich nicht mehr auf ganz Norddeutschland, sondern nur noch auf Mecklenburg beschränkt waren. Immerhin 10 davon (also 2/3) fanden in Schwerin statt. Allerdings nun nicht mehr im Dom, sondern in der Reithalle des Marstalls. Die Zahl der Orchestermusiker war mit durchschnittlich 83 nun deutlich niedriger, dafür waren vor allem Ende des Jahrhunderts die Chöre mit über 500 Sängern deutlich größer als noch 1840. Wobei weiterhin keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um für diesen besonderen Anlass herausragende Solisten aus Berlin, Hannover oder Wien nach Schwerin zu holen. Im Programm der dreitägigen Veranstaltungen dominierten Händel und Beethoven. Nur ein einziges Mal, 1873, wurde mit dem „Elias“ noch einmal ein Oratorium von Mendelssohn aufgeführt.
Titelfoto: Reithalle des Marstalls, Foto: @Dellex, Wikimedia Commons
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