Der Kulturkompass MV wendet sich einer erinnerungswürdigen Story aus der Musikgeschichte Schwerins zu. In drei Folgen wird Dr. Bernd Kasten, Leiter des Stadtarchivs Schwerin, erzählen, wie sich das „Zweite Norddeutsche Musikfest“ im Jahr 1840 zu einem unübertroffenen Musik- und Chorfest in der Schweriner Geschichte entwickelte. Einen großen Anteil an dem triumphalen Erfolg hatte Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Der kulturbegeisterte Großherzog Paul Friedrich hatte den damals berühmtesten Dirigenten und Komponisten aus Leipzig als Leiter des Musikfestes gewinnen können.
In Folge 1 – Die Anfrage berichtet Dr. Kasten, wie es gelungen war, Mendelssohn Bartholdy nach Schwerin zu engagieren.
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von Bernd Kasten
1836 wurde am Alten Garten in Schwerin ein modernes Theater mit 600 Plätzen eingeweiht. Der neue Großherzog Paul Friedrich und die Einwohner seiner Residenzstadt waren sich in ihrer Musikbegeisterung ganz einig. Voller Selbstbewusstsein trat Schwerin 1838 dem „Norddeutschen Musikfest-Verein“ bei, dem außerdem Bremen, Kiel, Altona, Hamburg, Lüneburg, Lübeck, Wismar, Rostock und Güstrow angehörten. Nachdem das erste Norddeutsche Musikfest im Juni 1839 in Lübeck ein großer Erfolg geworden war, erklärte sich die Stadt bereit, das nächste 1840 in Schwerin auszurichten. Für die mit nur 16000 Einwohnern ja keineswegs besonders große Stadt, war dies ein ehrgeiziges Unterfangen, das sie niemals unternommen hätte, wenn nicht der Großherzog seine bedingungslose Unterstützung zugesagt hätte. Das Organisationskomitee bestand aus Theaterintendanten Zöllner, dem Kanzleidirektor Wachenhusen, dem Kammerherrn und Stallmeister August von Boddien, dem Hofbuchdrucker Bärensprung und Hofrat Wendt. Hofsänger Julius Stocks fungierte als Sekretär. Während bei den anderen norddeutschen Musikfesten die Kaufleute den Ton angaben, hatte das Ganze in Schwerin daher schon den Anstrich einer regierungsamtlichen Veranstaltung.
Am 18. Januar 1840 richtete das Komitee folgende Anfrage an Mendelssohn Bartholdy in Leipzig:
„Dieses Fest durch Ihre Gegenwart verherrlichen und die musicalische Leitung desselben gefälligst übernehmen zu wollen …, da Ihr berühmtes Oratorium Paulus bei demselben aufgeführt werden soll und sich von demselben ein um so höherer Gewinn und Erfolg versprechen läßt, wenn dies eben so schwierige als großartige Werk unter der sicheren und erfahrnen Leitung des Componisten selbst zu Gehör gebracht würde. … Ganz besonders aber verbürgt die lebhafte Theilnahme unseres Allerhöchsten Hofes, ohne welches ein solches Unternehmen hier gar nicht auszuführen wäre, dem Fest den günstigsten Erfolg und eben so hat sich auch auf Seiten der hiesigen Einwohner der regste Eifer dafür durch Zusicherungen jeglicher Unterstützung aufs erfreulichste ausgesprochen. … – Die hiesigen music Kräfte werden gebildet durch die Großherzogl Kapelle, das Hautboistencorps, ferner durch die Mitglieder der Oper, des Theater-Chors und einen zahlreichen Chor von Dilettanten, womit sich die Strelitzer Hof-Capelle, sowie die vorzüglicheren Künstler und Dilettanten der Vereins-Städte: Bremen, Altona, Hamburg, Lübeck, Rostock, Wismar und Güstrow vereinigen werden, so daß das mitwirkende Personal auf 400 Personen (250 Sänger und 150 Instrumentalisten) gebracht werden kann.“
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Felix Mendelssohn Batholdy war ein gefragter Mann, zu dieser Zeit sicherlich der berühmteste lebende Komponist und Dirigent. Er erhielt damals zahllose Angebote aus allen Gegenden Deutschlands und Großbritanniens, die er fast alle ablehnte. Warum nahm er nun gerade das Schweriner Angebot an?
Foto: Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus, Staatsbibliothek Berlin
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Nun zunächst war es natürlich ein geschickter Zug, dass das Komitee ihm anbot, den 1836 vom ihm selbst komponierten „Paulus“ zu dirigieren. Er schrieb: Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie meinen Paulus mit so herrlichen Mitteln, bei so festlicher Gelegenheit zur Aufführung bringen wollen“. Ebenso klug war der Vorschlag, den Leipziger Konzertmeister David zu engagieren. Mendelssohn meinte, „daß Davids Mitwirkung bei einem solchen Feste mir allerdings höchst wünschenswerth ist …, da wir hier fortwährend mit einander Musik machen und uns ganz verstehen“. Das Komitee wusste, wie sie den von Erfolg verwöhnten Komponisten packen konnten. Mendelssohn schrieb seiner Mutter im März 1840: „Die Leute haben sich so ordentlich und anständig von vorn herein benommen und ausgesprochen, daß ich mir ein wohlgelungnes Fest erwarte, und mich recht darauf freue.“ So blieb nur noch die Honorarfrage zu klären. Mendelssohn, zwar ein Künstler, aber doch auch der Sohn eines Bankiers, verlangte und erhielt 50 Louis d‘Or, nach heutiger Kaufkraft ungefähr 20. 000€.
Auch der weitere Briefwechsel zur Vorbereitung des Musikfestes verlief so harmonisch wie er begonnen hatte. Als Solistinnen empfahl Mendelssohn zwei Sängerinnen aus Leipzig, akzeptierte aber klaglos die Entscheidung des Komitees stattdessen Fräulein Löwe aus Berlin und Frau Schmidtgen aus Schwerin zu engagieren. Dafür gab er aber sehr detaillierte Anweisungen für die keilförmige Aufstellung von Chor und Orchester im Dom und die für diese zu errichtenden stufenförmig aufsteigenden Podeste, was den Schweriner Zimmerleuten dann einige Arbeit beschert haben dürfte. Erleichtert wurden diese Einbauten dadurch, dass der Innenraum des Doms aus freiem Raum bestand, da es zu dieser Zeit noch nicht (wie heute) fest eingebaute Sitzbänke gab.
Titelfoto: Die Mitwirkenden am 15. Mecklenburger Musikfest, 1922, Stadtarchiv Schwerin
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