Die Autorinnen Naomi Klein und Astra Taylor warnen in einem in der Juni-Ausgabe erschienen »Blätter«-Beitrag vor dem Aufstieg der „Endzeitfaschisten“ und gleichzeitig zeigen sie Wege, wie die Menschen den Sieg der „dunklen Macht“ verhindern können.
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von Gerald Ullrich
Der Aufsatz „Aufstieg des Endzeitfaschismus“ befasst sich mit zwei politischen Strömungen, die aktuell die USA dominieren und zur Unkenntlichkeit entstellen. Es geht auf der einen Seite um die extrem Reichen, allen voran die Tech-Milliardäre Musk, Thiel und ihre libertären Gefolgsleute. Auf der anderen Seite geht es gewissermaßen um das rechtsextreme „Fußvolk“, das diesen Eliten an den Wahlurnen den Zugang zur Macht verschafft hat (auf das politische Eliten in Demokratien stets angewiesen sind).
Die Autorinnen, Naomi Klein, eine Professorin für Klimagerechtigkeit an der kanadischen Universität von British Columbia sowie Astra Taylor, kanadische Bürgerrechtlerin und Filmemacherin, veranschaulichen zunächst, welche Menschenbilder und Zielvorstellungen unter diesen extrem Wohlhabenden kursieren und zu erkennen sind. Darauf nimmt der gespenstisch klingende Begriff „Endzeitfaschismus“ im Titel Bezug. Sie zeigen, dass diese libertäre Clique extrem Reicher sich einen Begriff von Freiheit zu eigen gemacht hat, der nicht zuletzt meint, befreit zu sein von den Gesellschaften, denen sie ihr eigenes Emporkommen zu verdanken hat. Befreiung von der Gesellschaft schließt auch Befreiung von Kosten für diese Gesellschaft ein, namentlich Steuern. In grotesker Fortsetzung des von dem Philosophen Sandel gegeißelten meritokratischen Denkens sehen sich diese Eliten zudem durch ihren unermesslichen Reichtum und ihre darüber vermittelte Macht als eine Art ausgewählte Klasse, die berechtigt ist, nur an sich selbst zu denken. Zitate unterschiedlicher Protagonisten illustrieren in dem Beitrag diese hier knapp zusammengefasste Position. Diese geht im Übrigen inhaltlich konform mit den Einschätzungen der amerikanischen Soziologin Brooke Harrington, die sich seit langer Zeit wissenschaftlich mit den Superreichen befasst: „Die Eliten lehnen mittlerweile jegliche Verpflichtung gegenüber den Gesellschaften ab, denen sie ihren Reichtum und ihre Macht verdanken. Stattdessen nehmen sie radikal antidemokratische und antiegalitäre Positionen ein, ohne sich vor Sanktionen fürchten zu müssen.“
In Anbetracht unübersehbarer Krisen sowohl soziökonomischer Art als auch der in Zukunft wohl weiter zunehmenden großflächigen Naturkatastrophen durch den Klimawandel sehen diese Superreichen ihr Heil nur noch in einer Art Bunker-Mentalität. Dazu brauchen nicht nur die längst in vielen Städten anzutreffenden „Gated Communities“ gezählt zu werden. Nein, man träumt (und plant!) gleich in Kategorien von „gated cities“. So etwa Prospera auf der Insel Roatán vor Honduras. Auf der kann sich einnisten und ansiedeln, wer über den nötigen Reichtum verfügt. Der Rest bleibt draußen. In Anspielung auf den deutschen Soziologen Lessenich lässt sich auch hier trefflich davon sprechen: Nicht nach uns die Sintflut, sondern neben uns!
Eine extreme Variante dieser Bunker-Mentalität stellt dabei Elon Musks Flucht in das Weltall dar. Diese ist ebenfalls befeuert von einer sehr pessimistischen Einschätzung der Lage auf der Welt. Das ist auch der Grund, weshalb die Autorinnen hier von „Endzeitfaschismus“ sprechen. Es verbinde sich eine Auffassung von Gesellschaft, die systematische Wertunterschiede zwischen Menschengruppen formuliert, mit einer sehr pessimistischen, den Weltzerfall erwartenden Zukunftsvorstellung. Diese Kombination von hierarchischem Werteverständnis und Pessimismus unterscheide den jetzt aufziehenden „Endzeitfaschismus“ auch von seinem historischen Vorläufer. Der hatte noch von einer Utopie gelebt (Eugenik, Menschenrasse veredeln und so weiter), wo es heute nur noch um ein Rette-sich-wer-kann geht.
Zu Recht werfen Klein & Taylor die Frage auf, wie es zu einem Zusammenwirken dieser Eliten mit dem rechtsextremen „Fußvolk“ kommen kann. Denn Letzteres kann sich keine luxuriösen Bunkerlebensräume leisten. Als Klammer sehen Sie hier die pessimistische Zukunftserwartung, also den Zerfall der bekannten Welt, in Verbindung mit dem Aussperren von Menschen, die als vermeintliche Bedrohung für den Erhalt des eigenen Wohlstands wahrgenommen werden. Die Migration wird so zum Inbegriff der Bedrohung der eigenen Welt. Und der rechtsnationale Schlachtruf, dass die Grenzen „dichtgemacht“ werden müssen, weil „das Boot“ längst voll sei, lässt auf der Lebensbühne des „Fußvolks“ das eigene Land zu jenem Wohlstands-Bunker werden, den die wirklich Reichen sich irgendwo beschaffen oder herstellen können. Diese Ausschlussmentalität der einfachen Bürger, die in der Forderung nach Ausweisung von Migranten und Schließung von Grenzen zur Wohlstandssicherung zum Ausdruck kommt (unbesehen der Not jener, die zugewandert waren oder es noch vorhaben), wurde andernorts schon einmal als „Faschismus des Herzens“ tituliert, übrigens mit explizitem Bezug darauf, dass diese neuzeitliche Version von Faschismus nicht mehr die expansive und durch Entwicklungsutopie befeuerte Dynamik des Originals habe, sondern defensiver Natur sei (Grenzen dicht!). Was Unbarmherzigkeit und Unterordnung von Lebensinteressen anderer Menschen unter die Interessen der „eigenen Leute“ anbetrifft, entspreche der neue aber dem alten Faschismus.
Klein und Taylor sehen nicht erst in der inhumanen Vorstellung von Krisenbewältigung einen Grund zum Widerspruch, sondern sie thematisieren den Pessimismus dieser Weltsicht, der den Kollaps der Welt als unaufhaltsam auffasst und nur noch auf eigene Schadensminimierung fokussiert, als einen schändlichen Verrat an der Welt. Welt hier im Sinne einer bewahrenswerten, aber im Pessimismus bereits aufgegebenen Schöpfung.
„Wie können wir dieses apokalyptische Fieber brechen? Zunächst indem wir uns gegenseitig helfen, die Tiefe der Verdorbenheit zu erkennen, die die extreme Rechte in all unseren Ländern erfasst hat. Um zielgerichtet voranzukommen, müssen wir zunächst diese einfache Tatsache verstehen: Wir stehen einer Ideologie gegenüber, die nicht nur die Prämisse und das Versprechen der liberalen Demokratie aufgegeben hat, sondern auch die Bewohnbarkeit unserer gemeinsamen Welt – ihre Schönheit, ihre Menschen, unsere Kinder, andere Arten. Die Kräfte, gegen die wir ankämpfen, haben sich mit dem Massensterben abgefunden. Sie sind Verräter an dieser Welt und ihren menschlichen und nichtmenschlichen Bewohnern.
Zweitens setzen wir ihren apokalyptischen Erzählungen eine weitaus bessere Geschichte entgegen, wie wir die vor uns liegenden schweren Zeiten überleben können, ohne jemanden zurückzulassen. Eine Geschichte, die in der Lage ist, dem Endzeitfaschismus seine ‚gothic power‘, seine dunkle Macht, zu entziehen und eine Bewegung zu mobilisieren, die bereit ist, alles für unser kollektives Überleben einzusetzen.“
Für mich: Fingerzeig und Denkanstoss
Man mag darüber streiten, ob die Einordnung als Faschismus hier wie dort gerechtfertigt ist. Möglicherweise wäre globale Apartheid oder Apartheid 2.0 passender. Was mir aber bei dem Beitrag von Klein & Taylor zu denken gegeben hat, ist ihr Fingerzeig auf die radikal pessimistische Beurteilung der Zukunft in diesen politischen Strömungen. Es geht eben gar nicht mehr um die vermeintliche „Leugnung des Klimawandels“, worauf wir uns bei der AfD zumeist kaprizieren. Es geht um die Frage, wie auf die Katastrophe(n) des Klimawandels reagiert wird bzw. werden soll. In beiden Lagern, dem der libertären Superreichen wie bei den hier als „Fußvolk“ titulierten einfachen Bürgern, lautet die Antwort: Rettung durch Ausgrenzung – und auf Kosten anderer!
Der Beitrag von Naomi Klein und Astra Taylor erschien im April im englischen Guardian und ist hier kostenlos auf Englisch lesbar. In deutscher Übersetzung für 5,– € erhältlich in: Blätter für deutsche und internationale Politik.
Titelfoto: »Blätter« Juni 2025, Symbolbild: Ein Stiefel tritt auf einen Erdball (IMAGO / blickwinkel)
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