Die Psychologie der MAGA-Bewegung

Die politische Situation in den USA ist spätestens seit dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump überwiegend schockierend und bizarr. Der nachfolgende Text bietet Anregungen zum Verständnis, insbesondere mit Bezug auf die Trump-Anhänger. 

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von Gerald Ullrich

Auf Substack betreibt ein Autor, der nicht mit Klarnamen, sondern als The Rational League (TRL) auftritt, einen Blog zu den (sozial-) psychologischen Hintergründen des Trumpismus und der MAGA-Bewegung. Zwei besonders markante, frei zugängliche Beiträge will ich hier in groben Zügen skizzieren. Sie sind auch für das Verständnis der hiesigen populistisch-nationalistischen Strömung aufschlussreich, die mit der AfD Gestalt angenommen hat und von ihr orchestriert wird. Eine ausführlichere Darstellung der beiden Artikel von TRL findet man bei Interesse in meinem Blog.

Warum eine psychologische (und nicht nur politische) Analyse der gesellschaftspolitischen Ereignisse vonnöten ist, macht TRL im zweiten der beiden Texte wie folgt klar: „Es gibt einen Grund, warum Fakten bei ihnen (den MAGA-Aktivisten und -Sympathisanten; GU) nicht funktionieren. Seit Jahren wiederholen Kritiker des Trumpismus dieselben Strategien: Daten vorlegen, Lügen entlarven, an Empathie appellieren – nur um dann zu sehen, wie ihre Bemühungen abprallen wie Gummigeschosse an Panzerstahl. Was, wenn der Grund dafür nicht Unwissenheit oder Fehlinformation ist, sondern psychologisches Design?“ Um die nähere Charakterisierung dieses „Designs“ geht es TRL.

Hierbei werden unter Bezugnahme auf den kanadischen Psychologen Robert Altemeyer wichtige Komponenten wie folgt benannt: Angst vor Statusverlust, Autoritarismus, Soziales Dominanzstreben, kollektiver Narzissmus, bedingtes Denken und Ressentiment

Im ersten Beitrag führt TRL die zentrale Bedeutung der Angst vor Statusverlust und der Wahrnehmung der eigenen Welt als im Kern bedroht und unverständlich aus. Sie mündet in ein Ressentiment, das als ein brisantes Gemisch aus Emotionen und Kognitionen zu verstehen ist und an die Stelle politischer Überzeugungen und Meinungen tritt. Der zweite Beitrag erläutert das Ressentiment als Wechselspiel der anderen erwähnten Komponenten.

In starker Komprimierung lässt sich die Psychologie der autoritären (von TRL als faschistisch eingestuften) MAGA-Bewegung so beschreiben: Sie nimmt ihren Ausgang durch gesellschaftliche Prozesse, die von Teilen der Bevölkerung (MAGA) als Bedrohung ihrer Welt wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung löst eine Art Kollektivangst aus, die die Initialzündung für ein psychologisches Muster darstellt, das als (rechter) Autoritarismus bezeichnet wird. Hierbei „handelt (es) sich um ein Bündel von Merkmalen: Unterwerfung gegenüber wahrgenommenen Autoritäten, Aggression gegenüber von diesen Autoritäten sanktionierten Gruppen und der Wunsch, traditionelle soziale Normen durchzusetzen. Es geht nicht nur darum, konservativ zu sein. Es geht um die psychologische Veranlagung, dem Anführer zu folgen, egal was dieser sagt oder tut.“ 

Mit dem Autoritarismus bedeutet die als Bedrohung wahrgenommene Krise des Kollektivs zugleich eine massive Kränkung. Sie verschafft sich in einem kollektiven Narzissmus sowie dem „bedingten Denken“ gewissermaßen ein Ventil zur Bewältigung. Denn hier handelt es sich um einen „übersteigerten Glauben an die Größe der eigenen Gruppe, gepaart mit einer Überempfindlichkeit gegenüber Kritik“. Menschen mit ausgeprägten Werten für kollektiven Narzissmus fühlen sich durch andere Sichtweisen, die mit den eigenen emotionalen Voraussetzungen nicht kompatibel scheinen, sogleich geradezu beleidigt oder angegriffen. Mit dem hier als bedingtes Denken übersetzten „Motivated Reasoning“ wird zudem das Denken gewissermaßen an die Kette gelegt. Es dient nicht mehr der Erkenntnis (was wirklich und wahr ist). Stattdessen wird es ganz in den Dienst übergeordneter emotionaler Bedürfnisse gestellt.  Es ist eine Art der Informationsverarbeitung, bei der die „Menschen selektiv Informationen annehmen oder ablehnen, die mit ihrer Identität oder ihren Wünschen übereinstimmen, nicht mit der Wahrheit“. 

Im Endergebnis resultiert eine Bereitschaft, autoritären Führungspersonen bedingungslos zu folgen, die versprechen, die erlittene Kränkung (durch gnadenlose Verfolgung der vermeintlichen Übeltäter) zu beheben. Zugleich wird das eigene Denken abgeschottet gegen Wahrnehmungen, die die ohnehin große Verunsicherung und Angst noch weiter vergrößern. Hierzulande bezeichnen wir das in der Soziologie des politischen Extremismus als ein „geschlossenes“ Weltbild. Es lässt sich durch rationalen Diskurs kaum oder gar nicht mehr korrigieren.

Nicht angesprochen ist bislang das oben erwähnte Soziale Dominanzstreben. Während Autoritarismus eher den Mitläufer und Sympathisanten charakterisiert, sind die treibenden und führenden Kräfte solcher Bewegungen zusätzlich durch ausgeprägtes Soziales Dominanzstreben gekennzeichnet. Im zweiten Text heißt es von TRL hierzu: „Rechter Autoritarismus erklärt die Psychologie der Gehorsamen, während das soziale Dominanzstreben (SDS) diejenigen erklärt, die sie anführen bzw. die das wollen. Dies sind die Menschen, die an Hierarchie, Ungleichheit und die Idee glauben, dass einige Gruppen an der Spitze stehen sollten, während andere das Fußvolk bilden. Sie dulden nicht nur Ungleichheit. Sie wollen sie. Soziale Dominatoren glauben, dass die Welt ein rücksichtsloser Wettbewerb ist. Fairness ist eine Schwäche. Mitgefühl ist eine Belastung. Was zählt, ist zu gewinnen und sicherzustellen, dass die ‚richtigen Leute‘ die Kontrolle behalten. Das sind keine Verschwörungstheoretiker, die sich in Echokammern verlieren. Es sind Raubtiere, die die Politik der Kränkung als Tarnung nutzen. Personen mit hohen SDS-Werten sind manipulativ, machthungrig und kaltblütig. Sie weisen hohe Werte für Machiavellismus, Narzissmus und Psychopathie auf. Sie lügen, betrügen und beuten andere aus, um Status und Kontrolle zu erlangen, und sie tun dies mit einem Lächeln. Kommt Ihnen das bekannt vor?“

Angst vor Statusverlust ist die Initialzündung für ein ganzes Bündel an psychologischen Mechanismen. Die Kombination aus Autoritarismus und kollektivem Narzissmus bildet das Ressentiment und sorgt dafür, dass eine auf Rache (und nicht Gerechtigkeit) beruhende Politik verfolgt und unterstützt wird. Bei der geht es dann primär darum, die bedrohte eigene Gruppe (Identität) zu schützen und Teile der Gesellschaft als Sündenböcke für das eigene Ungemach auszumachen und büßen zu lassen. Solange also der Schutz der eigenen Identität und die Bestrafung der Sündenböcke gewahrt bleiben, werden sogar eigene Nachteile mitgetragen oder gutgeheißen. Das erleben wir gerade in den USA, wo die verheerenden Einschnitte in den ohnehin schlanken Sozialstaat auch viele MAGA-Anhänger treffen (werden), die dennoch applaudieren. 

Die hier nur sehr grob zusammengefasste sozialpsychologische Dynamik, die TRL als typisch faschistisch begreift, stellt für die Demokratie insofern eine vitale Gefahr dar, als mit der im kollektiven Narzissmus enthaltenen Behauptung unterschiedlich wertiger Menschen das Basisverständnis der Demokratie verletzt wird. Zugleich kommt eine rationale Verhandlung darüber gar nicht mehr zustande, weil das Denken (und das Sprechen, das dann nur noch Propaganda ist) nicht mehr der Wahrheits- und der Konsensbildung dient, sondern den Interessen des eigenen Clans untergeordnet ist. „Man kann nicht mit jemandem verhandeln, der Kompromisse als Kapitulation ansieht. Man kann niemanden von seinen Überzeugungen abbringen, die als emotionale Panzerung gegen Unsicherheit und Angst dienen. Und man kann sicherlich keine funktionierende Demokratie aufbauen, wenn 30–40 % der Bevölkerung Gleichheit als Angriff und Mitgefühl als Schwäche interpretieren.“

Wie es auf der Ebene der internationalen Konflikte für die liberalen, demokratischen Gesellschaften noch keine geeignete Antwort auf die Herausforderung der asymmetrischen Kriegsführung gibt, so steht auch für die asymmetrische Auseinandersetzung im Inneren der liberalen Gesellschaften in Frage, ob diese den Konflikt überstehen werden. 

Eine ausführlichere Darstellung der Texte von TRL sowie eine Kommentierung ihrer Implikationen finden Sie auf meinem Blog.

Titel: Make America Great Again (MAGA) in Washington, Foto:@ James McNellis, Wikimedia Commons

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Gerald Ullrich, Jahrgang 1959, seit 2005 mit seiner Frau in Schwerin lebend, eher natur- als kulturbegeistert, aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, ist sein Interesse zumeist groß. Als Psychotherapeut gilt seine berufliche Aufmerksamkeit allerdings dem Einzelnen. Er betreibt mit seiner Frau auch einen eigenen Blog.
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