Preisträger-Ensemble Trio Orelon spielt Werke vergessener Komponistinnen
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Von Til Rohgalf
Das Klaviertrio Orelon konnte bei der diesjährigen Preisverleihung der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern an die „Junge Elite” punkten. Die Musiker*innen Judith Stapf (Violine), Arnau Rovira i Bascompte (Violoncello) und Marco Sanna (Klavier) wurden mit dem Ensemblepreis der Tiemann-Stiftung ausgezeichnet. Dem Kulturkompass beantworteten sie Fragen zu ihrem Schaffen und musikalischen Fokus.
Der Name des Trios leitet sich von dem Esperanto-Wort für „Ohr“ ab, wird aber auch für den Akt des Hörens verwendet. Kennengelernt haben sich die drei Musiker*innen während ihres Studiums in Berlin und Köln. Eine gemeinsame Leidenschaft zur Kammermusik verband sie von Beginn an. Nach Erfahrungen in anderen Formationen war es dann das Klaviertrio, das sich für die drei Musiker*innen durch ganz spezifische klangliche Charakteristika auszeichnete:
„Das Klaviertrio vereint auf einzigartige Weise solistisches Spiel und kammermusikalische Verschmelzung. Jede Stimme hat die Möglichkeit, im Vordergrund zu stehen, und muss sich zugleich flexibel in das gemeinsame Klangbild einfügen. Diese ständige Balance zwischen Eigenständigkeit und Miteinander macht die Besetzung so faszinierend – und eröffnet unerschöpfliche Möglichkeiten, immer wieder Neues zu entdecken.“
Die Musiker*innen suchen bewusst musikalisches Material abseits des Standardrepertoires. Bereits 2020 riefen Judith Stapf und Marco Sanna das Projekt „Beethovens Töchter“ ins Leben. Sie wollen die Musik unbekannter, vergessener oder selten gespielter Komponistinnen entdecken und dem Publikum präsentieren. Die ursprüngliche Idee zum Beethovenjahr sei gewesen, dessen zehn Violinsonaten Werken von Komponistinnen gegenüberzustellen. Die Pandemie habe verhindert, dass das Projekt damals vollständig realisiert werden konnte, sei jedoch später in erweiterter Form wieder aufgegriffen worden.
Das Ziel sei nicht nur, dass diese Werke in der Klassikszene gespielt – und gehört – werden, sondern auch, „dass Musik von Komponistinnen ganz selbstverständlich im Standardrepertoire vorkommt. Die Klassikwelt kann davon nur profitieren: Kunst, die vor teilweise hunderten von Jahren entstanden ist, kann politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist widerspiegeln und so auf noch mehr Ebenen relevant sein.”
Die Recherche nach vergessenen und ungehörten Komponistinnen ist bis heute ein Anliegen des Trio Orelon: „Als wir damals das Projekt Beethovens Töchter ins Leben gerufen und dafür recherchiert haben, sind wir auf viele neue Namen gestoßen. Auf diese Liste greifen wir immer wieder zurück, um neue Programme zusammenzustellen. In dieser Spielzeit spielen wir zum Beispiel das Trio von Rebecca Clarke. Andere Komponistinnen, die wir im Blick behalten, sind Cécile Chaminade oder Ethel Smyth, unter anderem.“

Die Beschäftigung mit den Biografien der Komponistinnen habe immer wieder zu überraschenden Entdeckungen geführt. Hinter den Werken stünden Persönlichkeiten mit außergewöhnlichen Lebenswegen, deren Musik häufig sehr persönliche und individuelle Geschichten erzähle: „Bei unserer Recherche stoßen wir regelmäßig auf die faszinierendsten Lebensgeschichten und Schicksale von Frauen, die hauptsächlich Hausfrauen und Mütter waren, bis hin zu Frauen, die wichtige Wettbewerbe gewonnen und sich für faire Bezahlung eingesetzt haben und durch die ganze Welt getourt sind. Da findet man unglaublich schöne Musik!“ Da das Projekt auch eine explizit politische Ebene habe, sei es fast unmöglich, Musik von der Person zu trennen. (Foto: @Anna Folka)
Auch auf zwei ihrer Studiowerke widmen sich die drei Musiker*innen Komponistinnen, die nicht zum Standardrepertoire kammermusikalischer Praxis in Deutschland gehören – namentlich Dora Pejačević, Amanda Röntgen-Maier und Amy Beach. Sehr bereichernd sei es, ein neues und bislang unbekanntes Repertoire zu erarbeiten. Bei der Musik der bekannten Komponisten gebe es eine gewisse Hörgewohnheit, eine Tradition und oft auch eine sehr konkrete Klangvorstellung. All dies müsse man sich neu aneignen, wenn eine Komposition noch unbekannt sei. Darin sehe man eine große Chance – die Möglichkeit, mit einem Werk tatsächlich von Grund auf zu beginnen.
Dabei zeichnen sich Dora Pejačević, Amanda Röntgen-Maier und Amy Beach durch gemeinsame Grundhaltungen und sehr individuelle kompositorische Handschriften aus: „Die Komponistinnen, die wir bisher aufgenommen haben, sind alle große Romantikerinnen und könnten dennoch nicht unterschiedlicher sein. Sowohl im Hinblick auf ihre Lebensgeschichte als auch auf ihre Art, zu komponieren. Wir schätzen an diesen Komponistinnen sehr ihre Individualität und den Wiedererkennungseffekt ihrer Musik. Amanda Röntgen-Maiers Musik glänzt durch Spielfreude und skandinavischen Charme, das Trio von Amy Beach durch unkonventionelle Ideen und folkloristische Elemente und Dora Pejačević schafft ein Werk von überbordender Romantik und großer polyphonischer Dichte.“
Auf ihrem aktuellen Album gehen die Drei dagegen einen anderen Weg – zu hören sind die Klaviertrios Nr. 3 und Nr. 4 von Antonín Dvořák. „Tatsächlich legen wir großen Wert auf Diversität in unseren Programmen“, führen die Musiker*innen aus. „Dvořáks Musik liegt uns sehr am Herzen und auch bei ihm schätzen wir die einmalige Klangsprache und die Farbigkeit seiner Musik.“ Insbesondere die Klaviertrios Nr. 3 und Nr. 4 seien in ihrer Struktur sehr unterschiedlich, was die Kombination für das Trio noch interessanter mache.
In den nächsten Monaten sind Judith Stapf, Arnau Rovira i Bascompte und Marco Sanna auch auf diversen Bühnen zu hören. In dieser Spielzeit freut sich das Trio auf Debüts in traditionsreichen Konzertsälen wie der Alten Oper Frankfurt, dem Teatro La Fenice in Venedig und dem Sendesaal Bremen.
Im kommenden Sommer stehen für die drei Musiker*innen Auftritte bei renommierten Festivals wie dem Mozartfest Würzburg, dem Rheingau Musik Festival und dem Schleswig-Holstein Musik Festival an. Und: „Natürlich freuen wir uns, als Teil der Preisträgerfamilie wieder bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern dabei sein zu dürfen.“
Titel: Trio Orelon (Foto: @Anna Tena)
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