von Reinhard Wulfhorst
Den Mecklenburg eng verbundenen Komponisten Robert Kahn habe ich im Kulturkompass bereits kurz vorgestellt. So kann ich ohne Umschweife zu Kahns Musik und deren Interpretation auf dieser neu erschienenen Einspielung kommen. Das hat sie allemal verdient: Unter den rund zehn CDs mit Musik von Robert Kahn, die bislang auf dem Markt sind, nimmt dieses Doppel-Album für mich einen besonderen Platz ein: Noch nie wurde Robert Kahn so grandios gespielt.
Robert Kahn, Klavierquartette Nr. 1 h-Moll op. 14, Nr. 2 a-Moll op. 30, Nr. 3 c-Moll op. 41; Serenade für Streichtrio a-Moll; Oliver Triendl (Klavier), Zilliacus Trio: Cecilia Zilliacus (Violine), Johanna Persson/Lilli Maijala (Viola) und Kati Raitinen (Violoncello); cpo 555 150-2 (2025)
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Nobler Melodiker
Die drei Klavierquartette, die der 1865 geborene Robert Kahn zwischen 1891 und 1904 veröffentlichte, bestätigen den Ruf des Komponisten als nobler Melodiker. Die Streicherinnen des Zilliacus Trios kosten ihre Kantilenen mit großem und zugleich sehr wandlungsfähigem Ton aus, haben Geduld für breit angelegte Steigerungen und können sich auch wieder ganz schnell zurücknehmen. Vor allem Cecilia Zilliacus hat dabei keine Furcht vor einem (dezenten) Portamento, jenem Hineinschleifen in den nächsten Ton, das lange Zeit als Schmalz verpönt war. Wenn es aber so geschmackvoll gestaltet wird, wird Schmelz daraus.

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Unbedingte Leidenschaft
Die Quartettformation belässt es nicht dabei, die Musik (wunder-)schön zu spielen. Das, was die Aufnahme auszeichnet, ist ihre unbedingte Leidenschaft. Die Vier ziehen alle Ausdrucksregister und veranlassen den Hörer, gewissermaßen mit ihnen auf der Stuhlkante zu sitzen. Leidenschaft heißt aber nicht Dauerdruck. Insbesondere an den Übergängen nimmt sich das Ensemble genug Zeit und schafft so Räume fürs Atemholen und Entspannen. Die Interpretation lässt sich offenkundig von dem leiten, was Clara Schumann über eine Komposition des 22-jährigen Kahn notiert hatte: „Da ist Leidenschaft, Wärme, Anmut, vortreffliche Arbeit.“

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Höhepunkte: die langsamen Sätze
Höhepunkte der Klavierquartette sind für mich die langsamen Sätze, allen voran der des ersten Quartetts. Bei diesem Andante ist Robert Kahn ganz nah bei seinem großen Fixstern Johannes Brahms – und dieser Satz hätte Brahms alle Ehre gemacht. Wie die drei skandinavischen Streicherinnen die endlosen Melodiebögen zum Singen und Blühen bringen und dabei von den einfühlsamen Arpeggien des Pianisten getragen werden, ist Kammermusik in Vollendung und zutiefst anrührend. Ein ernsthafter Anwärter für die einsame Insel.
Solistinnen verschmelzen zu einem Kammermusikensemble
In instrumentaler Hinsicht stellt die Aufnahme von der ersten Note an klar, dass wir es mit vier gestandenen Solisten zu tun haben. Diese solistischen Ambitionen stehen vor allem der Serenade für Streichtrio gut an, die die Aufnahme abrundet und erhebliche technische Anforderungen an die Interpretinnen stellt. Komponiert 1933 in Feldberg/Mecklenburg, ist es das erste Werk, das Kahn 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft nicht mehr öffentlich präsentieren durfte. Hinter dem stets eingängig-serenadenhaften, wenn auch von einer gewissen Wehmut durchwobenen Ton verbirgt sich eine kontrapunktisch raffinierte Textur. Aber es spielen nicht drei bzw. vier Solisten. Das Ensemble ist vielmehr zu einer echten Kammermusikgruppe zusammengewachsen. Nur minimale Intonationsreibungen etwa im Unisono am Beginn des letzten Satzes des 2. Quartetts lassen spüren, dass sich die Ensemblemitglieder nicht das ganze Jahr über dieser Formation widmen.
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Fazit
Diese beiden mitreißenden CDs werden auf längere Zeit die Referenz für Einspielungen mit Musik von Robert Kahn sein. Ein besserer Einstieg in dieses kompositorische Werk und seine interpretatorischen Möglichkeiten lässt sich kaum denken.
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Reinhard Wulfhorst, Dr. beschäftigt sich neben seiner Tätigkeit in der Landesregierung mit Musik aus M-V und als Inhaber des Musikverlages Edition Massonneau (www.edition-massonneau.de) mit Veröffentlichungen über Komponistinnen und Komponisten aus dem Land. Er stellt musikalische Neuerscheinungen vor und berichtet gelegentlich über Konzerte.