Natur im Herzen

„Sonne im Sinn“ – eine Werkschau der Leipziger Malerin Rosa Loy in der Rostocker Kunsthalle

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Von Gottfried Timm

Schwebende, still sich niederlassende Figuren, von Fabelwesen umgeben. Frauen, ausschließlich Frauen. Zwillingspaare, Herzensschwestern. Man kann sie auch als Darstellung eines multiplen Ich verstehen. Sie treten flüchtig vor oder ziehen dahin, schweigend im Gespräch, der Natur zugewandt, traumwandlerisch und dennoch gestaltend. 

Selbstentblätterung (Ausschnitt)

Wie auf dem Gemälde „Schenk ein Kleid aus Rinde“. Die rechte Figur in erdwarmen Farben, sitzend vor dem kräftigen Stamm eines Baumes, achtsam, eine Hand geöffnet, einladend. Hinter ihr weht im kühlen Wind ein Rindenkleid. Die andere nackt, stehend, eisiges Grün, der Körper zerteilt, zur Sitzenden geneigt. Im Vordergrund ein Hund, frostig, setzt vor den Frauen den Ton. Die einladende Hand der Sitzenden weist auf die Frierende, fühlt sich ihr verbunden und sucht Wärme. Wärme, die sich ihr anbietet im Kleid der Natur, auch im Erdengrund und im roten Schein des über dem Schnee aufscheinenden Abendlichts. 

Schenk ein Kleid aus Rinde

Die Naturdarstellungen sind in den Werken von Rosa Loy weder Abbildungen der Wirklichkeit noch Kulisse für figurative Szenen. Natur und Mensch sind ineinander verwoben. Wolken haben Gesichter, Gemüse schaut, ein Baum mit roten Früchten erwächst dem weiblichen Körper. Der Mensch ist ein Teil seiner natürlichen Umgebung, wobei die Natur eben nicht gerichtetes Objekt menschlicher Wahrnehmung und anthropozentrischer (Um)- gestaltung ist, sondern die Natur setzt sich ihrerseits zu ihm in Beziehung. Sie raunt ihm zu, umweht ihn, durchdringt ihn, feuert ihn an, bringt sich aus ihm hervor. Bei Rosa Loy erscheint die Natur beseelt.

Es sind innere Bilder, die die Künstlerin auf die Leinwand überträgt. Loy, die der Leipziger Schule angehört, wird dem Neo-Surrealismus zugerechnet. Ihre Arbeiten tragen einen Hauch Mystik in sich, ohne sich allerdings erkennbar mit tradierten Formen oder ausgewählten Stilmerkmalen jener Kunstrichtung auseinanderzusetzen, die sich als Reaktion auf die vernichtenden Erlebnisse des Ersten Weltkrieges etablierte. In Interviews erzählt die Malerin, dass sie nicht überkommene Motive oder Symbole zitieren will, sondern aus den ihr zufließenden Inspirationen schöpft, so dass sich der Prozess, in dem ein Bild entsteht, immer auch zu einem wechselseitigen und andauernden Gespräch mit dem kreativen Impuls, der Idee des Bildes, entwickeln kann. Man spürt, dass Rosa Loy in ihrem ersten Beruf Gärtnerin war. Sie betont, wie sehr sie in die Pflanzenwelt ihrer unmittelbaren Umgebung eintaucht und die Tages- und Nachtzeiten beim Durchstreifen der Leipziger Auenlandschaft auf dem Fahrrad durchlebt.

Die Verletzung der Natur jedoch, ihre Vernichtung als Resultat menschlichen Handelns, thematisiert die Künstlerin nicht. Die Zerrissenheit unserer Lebensrealität findet in ihren Arbeiten, die in erster Linie Harmonien aufzeigen wollen, kaum ihren Ausdruck. In ihren Werken geht es um das, was „am Anfang“ war und innerer Sehnsuchtsort geblieben ist: das Paradiesische, Unverfügbare, Urgründige. Ein versonnener Blick also hinter die Kulissen der äußeren Wirklichkeit, der sich von den Wunden der Gegenwart abwendet? Eine Flucht ins Feenhafte, Illusionäre? Auf diese Fragen wird jede Ausstellungsbesucherin eine eigene Antwort finden müssen.

Von Herzen

Das Gemälde „Von Herzen“: Ein märchenhaftes Wesen mit rotem Käppchen, Pullover und Stiefeln fängt von einer in Schwarz gekleideten ritterlichen Figur Blut auf, das aus ihren Händen strömt. Am Weg wartet ein Wagen mit Kannen für den Abtransport der Gabe, während die aufgeregte, erwartungsvolle Haltung der Fabeltiere zeigt, dass sie an dieser Darbringung intensiv Anteil nehmen. Diese mythologisch anmutende Bildkomposition bietet, auch wenn sie sich darauf nicht bezieht, eine interessante Assoziation aus archaischen Kulturen an. Denn der Mensch war sich immer bewusst, dass er durch sein Handeln die Natur, von der er lebt, verletzt und in ihre kosmischen Kreisläufe eingreift. Um diese Störung zu heilen, brachte er Opfer dar, materieller und spiritueller Art. Er tat dies mit dem Ziel, den Kräften, die hinter den äußeren Realitäten wirken, verstehend und versöhnend zu begegnen, um die Dynamik allen Lebens wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Ein uraltes Wissen über die einfache Tatsache, dass der Mensch sich als ein der Natur ausgesetztes, von ihr abhängiges Wesen wiederfindet, als winziges Subjekt in einem unergründlichen Universum. Man wünscht sich heute sehr, dass diese Erkenntnis in zeitgemäßem Gewande erneut zur Darstellung gebracht werde. Hier, in der von Rosa Loy gestalteten Waldszene, bringt sich eine absichtsvoll ausschreitende Frauengestalt in das sich vor ihr ausbreitende Leben ein. Mit ganzer Hingabe, wie der Titel des Bildes auch gedeutet werden könnte.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Rostock ist noch bis zum 30 November zu sehen.

Titelfoto: Kunsthalle Rostock. Alle Fotos: Gottfried Timm 

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Gottfried Timm, geboren und aufgewachsen in Mecklenburg, ehemaliger Pastor und Innenminister in MV, SPD – Mitglied, engagiert sich für den Klimaschutz, ist leidenschaftlich gern auf dem Wasser, lebt in Schwerin.
 
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