Syrien nach Assad


Das Assad-Regime ist überraschend kollabiert. Unser Autor Gerald Ullrich hat zu Äußerungen aus den politischen Lagern zum Machtwechsel in Syrien eine deutliche Meinung. Aus gegebenem Anlass gibt er drei Leseempfehlungen.

Diese Woche wird durch den unerwarteten Kollaps des syrischen Assad-Regimes in die Geschichte eingehen. Weniger geschichtsträchtig, sondern geradezu abstoßend ist hingegen, wie konservative Kräfte in Deutschland und Europa auf dieses Ereignis reagieren. Die Rauchwolken nach dem Zusammenbruch des Kartenhauses des syrischen Machthabers haben sich noch nicht gelichtet, da wird schon nach einem Stopp aller Asylverfahren von Syrern gerufen. Von den nach Deutschland und Europa geflüchteten Syrern wird die umgehende Rückkehr in die Heimat erwartet. Ernst zu nehmende Beobachter der Lage halten es demgegenüber noch für unklar, ob Syrien nicht (wie Libyen) das Schicksal eines „failed state“ ereilt.


Dass man von der AFD (und vom BSW) nichts anderes erwarten konnte, war klar. Wie geschmacklos und niederträchtig sich aber führende Kräfte in der CDU an diesem Überbietungswettbewerb ausländerfeindlicher Stimmung und Gesinnung beteiligen, ist schon atemberaubend. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechnung der Konservativen und der Populisten nicht aufgehen wird, weil es in der Bevölkerung eben doch noch sehr viele Menschen gibt, die Anstand und Humanität nicht nur als Lippenbekenntnis auffassen. 


Ach ja, was für eine Leseempfehlung aus diesem Anlass?

Da ist erstens zu erinnern an das sehr schöne Buch des in Wien lehrenden Historikers Philipp Ther, der im Anschluss an und mit Bezug auf die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 eine Geschichte der Migration geschrieben hat. Die zeigt uns unter vielem anderen, dass Migrationsströme (unter anderem im Europa des letzten Jahrhunderts) noch viel größere Dimensionen hatten – und am Ende auch/dennoch bewältigt wurden. Oder dass Migration zumeist zum Vorteil der aufnehmenden Gesellschaften ausgegangen ist.

Zweitens sei an zwei Bücher des emeritierten Politologen Volker M. Heins erinnert, der im Corona-Lockdown zunächst das furiose, unsere gegenwärtigen Denkschablonen durcheinanderwirbelnde Buch „Offene Grenzen“ geschrieben hat, und der zusammen mit dem Osnabrücker Historiker Frank Wolff zwei Jahre später das Buch „Hinter Mauern“ nachgelegt hat. 

Das erste Buch führt auf beeindruckende Weise vor Augen, wie elementar die Bewegungsfreiheit des Menschen zur Freiheit überhaupt gerechnet werden muss, und dass durchlässige Grenzen keineswegs zum Kollaps aufnehmender Gesellschaften führen müssen, wie es die migrationsfeindliche Rhetorik vom Boot, das längst voll sei, suggeriert. 

Dass die „Festung Europa“, die zunächst nur Zielvorstellung rechtsextremer Nationalisten war, längst aber ein Projekt geworden ist, an dem allerorten und von unterschiedlichen politischen Kräften gebastelt wird, nicht nur vermeintlicher Schutz vor Eindringlingen von außen ist, sondern auch beträchtlichen Schaden im Inneren erzeugt, macht das zusammen mit Frank Wolff verfasste zweite Buch von Volker Heinz deutlich. Auf dieses habe ich anderen Orts durch eine Rezension nach dessen Erscheinen hingewiesen.

Kürzlich begegnete mir irgendwo (war es auf Blue Sky?) die Idee eines Social-Media-Nutzers mit Migrationshintergrund, dass alle in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund angesichts der feindseligen Stimmungslage im Land und im Sinne eines Warnstreiks für einen Tag ihre Arbeit niederlegen sollten. Das wäre eine feine Sache! Weil dann endlich klar und für jeden fühlbar würde, wie hilfreich und wertvoll all diese Menschen schon längst oder seit langem im Getriebe unseres Alltags sind. Wobei das den Gesichtspunkt Migration andererseits auf das Nützliche verengen würde. Und Schutz von Flüchtenden gewährt man ja nicht, weil es am Ende für einen selbst nützlich ist. 

Der Gegenwind durch nationalistische, undemokratische und inhumane politische Kräfte wird inzwischen immer stärker. Da ist es hilfreich, sich mit guten Argumenten und Fakten zu befassen. Die überzeugen zwar bekanntlich keine Populisten, denen Fakten ohnehin egal sind (weil sie sich bei Bedarf „alternative“ Fakten basteln), aber für einen selbst mag es in solchen stürmischen Zeiten wichtig sein, sich noch einmal zu vergewissern. Dafür sind alle drei Bücher enorm wertvoll. 

Die Außenseiter. Buch von Philipp Ther (Suhrkamp Verlag)

Offene Grenzen für alle.  Buch von Volker M. Heins (Hoffmann und Campe Verlag)

Hinter Mauern. Buch von Volker M. Heins & Frank Wolff (Suhrkamp Verlag)

(Titelfoto: pixabay, mariananistor35)
Gerald Ullrich, Jahrgang 1959, seit 2005 mit seiner Frau in Schwerin lebend, eher natur- als kulturbegeistert, aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, ist sein Interesse zumeist groß. Als Psychotherapeut gilt seine berufliche Aufmerksamkeit allerdings dem Einzelnen.

Kommentar, eingegangen am 19. Dezember 2024

Lieber Herr Ullrich, vielen Dank für Ihre deutliche Stellungnahme zum so unsäglich inhumanen Getöse besonders unserer, ihr Handeln vom christlichen Wertebild ableitenden, Unionspolitiker*innen. Wie diese wandelnden Disparate ihre uns alle beschämenden Ideen vor sich selbst zu rechtfertigen wissen, bleibt mir ein Rätsel, das ich nicht lösen möchte. Mir, als Mensch – die ich mit Menschen arbeite, die jung sind, die so häufig in ihrem Leben bereits mehr erleiden mussten, als jemand ertragen sollte, die zwischen ständigen Sorgen, dem Wunsch nach Schutz und Geborgenheit, der nur  so vage abschätzbaren Zukunft, die sich jetzt und hier ihrer eigenen (Aus-)Bildung widmen und dafür enorme Kraft aufbringen – ist Ihr Beitrag Trost, Hoffnung und Bestärkung. Ich wünsche Ihnen ein friedliches Weihnachtsfest und uns allen ein menschlicheres 2025! Herzliche Grüße Jantje Rohgalf 

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